Gamsachurdia beging Selbstmord

Schewardnadses Gegenspieler nahm sich in einem von Regierungstruppen umzingelten Ort das Leben / Die Regierung in Tbilissi hat nun ein Problem weniger  ■ Von Sabine Herre

Berlin (taz) – Einen Marsch auf Tbilissi wird es nicht mehr geben. Denn Swiad Gamsachurdia, entmachteter Präsident von Georgien, hat Selbstmord gegangen. Nach einer Mitteilung seiner Ehefrau nahm sich der Ex-Dissident und Ex-Diktator am 31. Dezember im Alter von 54 Jahren in einem Ort in Westgeorgien das Leben. Wie es hieß, sei der Ort von georgischen Regierungstruppen umstellt gewesen. Sie hatten im Oktober den Vormarsch Gamsachurdias auf Tbilissi gestoppt.

Das Pressebüro des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse hatte jedoch noch keine Informationen über den Selbstmord. Besonders unglücklich dürfte man über die Nachricht jedoch nicht gewesen sein. Hatten doch die Machtgelüste eines Mannes, der Georgien in die Unabhängigkeit führte, die innenpolitische Situation des Landes so zugespitzt, daß Schewardnadse sich gezwungen sah, um Beistand bei Rußland und der GUS zu bitten.

Doch dies ist bei weitem nicht der einzige Widerspruch, der Gamsachurdias „Leben und Werk“ kennzeichnet: Als im April 1989 afghanistanerprobte Sondertruppen des sowjetischen Innenministeriums in Tbilissi ein grausames Massaker anrichteten und zwanzig Menschen mit geschliffenen Feldspaten bestialisch ermorderten, war dies eine der Ursachen für den Aufstieg des Volkstribuns. Als es jedoch Ende September 91 zu ersten großen Demonstrationen gegen den ein Jahr zuvor zum Präsidenten Gewählten kam und der Einsatz der Nationalgarde befohlen wurde, lagen die toten Demonstranten an der gleichen Stelle wie die Opfer der Sowjettruppen. Und obwohl Gamsachurdia bereits mit 17 Jahren seine Opposition gegen das sowjetische System öffentlich gemacht hatte und insgesamt 15 Jahre seines Lebens in Gefängnissen zugebracht haben soll, hatte er für die eigene Opposition nur Hohn und Verachtung übrig. Gamsachurdia in einem taz-Interview: „Eine wirkliche Opposition existiert nicht. Kriminelle Elemente, Hooligans, Räuber und Bandiaten haben sich entschlossen, in die Politik zu gehen.“ Seinen Hauptrivalen Dshaba Iosseliani ließ Gamsachurdia in ein KGB-Gefängnis sperren, der Besuch einer Delegation der Internationalen Helsinki-Föderation wurde ihm verweigert.

Hinter allem und jedem vermutete Gamsachurdia den Einfluß des Kreml. Genau dies macht ihn jedoch auch zu einem Opfer des Systems. Denn schließlich bestimmte die Suche nach dem äußeren Feind die sowjetische Propaganda. Pogromstimmungen gegen Minderheiten wurden in der UdSSR ebenso geschürt wie im unabhängigen Georgien.

Der als feinsinnige Poet geltende Gamsachurdia, der Shakespeare-Übersetzer und Beaudelaire-Fan hatte seine größte Unterstützung in den ländlichen Gebieten. Gestürzt jedoch wurde er in Tbilissi, und die Haupstadt hätte er auch ohne russische Unterstützung für Schewardnadse wohl nie erobern können. Denn in den Augen der politische Elite des Landes hatte sich der Diktator für immer und ewig diskreditiert. Die Spuren des Bürgerkriegs sind in dem einst prächtigen Stadtzentrum auch heute nicht zu übersehen. Da die Truppen Gamsachurdias ohne ihren Führer den Marsch auf Tbilissi einstellen werden, hat Georgien nun ein Problem weniger.