■ Standbild: Eins mit dem Sand
Testbild, Vox, von 2 bis 9 Uhr
Es gibt keinen Sendeschluß mehr. Zu Beginn diesen Jahres hat auch West 3 auf heavy rotation geschaltet und zeigt 24 Stunden Programm. Bei der privaten Konkurrenz küssen und schlagen sie sich schon seit Jahren rund um die Uhr, aber auch andere öffentlich-rechtliche Programme machen mit bewegten Testbildern nach Sendeschluß zum Teil bessere Quoten als mit dem Programm vorher: Beim SFB fährt man nach den Spätnachrichten S-Bahn, und der ORB hat sein berühmt-beruhigendes Aquarium.
Den schönsten Augentrost nach Sendeschluß bietet allerdings Vox, der Sender, bei dem man sich schon zur Hauptsendezeit über Quoten freuen würde, wie sie der SFB nach Sendeschluß hat. Der Kölner Privatsender zeigt nachts eine etwa 20minütige Filmschleife, die aussieht, als hätte sie jemand in den Ferien mit dem Camcorder aufgenommen.
Einnicken mit Strandblick: Langsam, gaaanz langsam, schwenkt das Kameraauge am Meeresufer entlang. Der Wind fächelt durch die Palmen. Hunde toben in der Gischt. Radfahrer kreuzen. Dicke Amerikaner pökeln in der kalifornischen Sonne. Und dann zoomt der Kameramann langsam, gaaanz langsam, auf eine Yacht am Horizont – es ist wie Urlaub, bloß im TV. Hier kommt das Nullmedium Fernsehen zu sich selbst.
Ab und zu zuckt noch die Hand an der Fernbedienung: mal gucken, was MTV bringt oder wie sich die n-tv-Moderatorin die Augen mit Streichhölzern aufhält. Aber immer öfter bleibt man am Vox-Fernsehstrand hängen. Schließlich gleitet die Remote-Control aus der Hand.
Wir sitzen vor der Röhre wie Nam June Paiks Video-Buddha, ganz im Einklang mit uns und dem Sand, sprechen ein kurzes, dösiges Gebet für die Schlaflosen, die um drei Uhr nachts noch vor dem Fernseher hocken. Du bist müde, sehr müde. Deine Augen schließen sich. Deine Lider werden schwer und schwerer. Auf dem Vox-Testbild joggen noch rasch einige Bodybuilder vorbei. Du bist sooo müde. Die Zähne kannst du dir auch morgen noch putzen... Tilman Baumgärtel
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