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Das Fundament ist reichlich kostspielig

Ihr Ruf ist zweifelhaft, dennoch wird an Ehe und Familie festgehalten, als gäbe es nichts Besseres im Leben. Am Wochenende wird in Berlin das „Internationale Jahr der Familie“ eingeläutet mit einem Werbefeldzug für Nestwärme und gegen Geburtenmüdigkeit Von Barbara Dribbusch

Die Familie ist eine zwielichtige Institution. 800 Millionen Mark jährliche Kosten für Psychotherapien, mindestens 400 Millionen Mark für Scheidungen. Etwa die Hälfte des sexuellen Mißbrauchs geht auf das Konto von Familienangehörigen, desgleichen jeder fünfte Mord. Der Ruf der Familie ist zweifelhaft, aber an der Lebensform wird festgehalten, als gäbe es nichts Besseres. Der jüngste Werbefeldzug: In Berlin beginnt am Wochenende das „Jahr der Familie“ mit Festakt und buntem Rahmenprogramm.

Die über das ganze Jahr 1994 laufenden Veranstaltungen sind Teil des von den Vereinten Nationen ausgerufenen „Internationalen Jahres der Familie“ (IJF), das von der Bundesregierung mit 6,3 Millionen Mark gesponsert wird. Die Veranstaltungsserie mit Tagungen und Diskussionsforen solle dafür sorgen, daß ein „familienfreundlicheres Klima“ in der Gesellschaft verankert wird, so Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch (CDU).

Ein bißchen Veranstaltungs- Schnickschnack dürfte dazu aber nur wenig beitragen. Denn bundesweit ist es eher schwieriger geworden, in gleichberechtigter Partnerschaft einen Alltag mit Kindern erfreulich zu gestalten. Die durchschnittliche Familiengröße nimmt nach wie vor ab. Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden wachsen inzwischen mehr als die Hälfte aller Kinder in der Bundesrepublik Deutschland ohne Geschwister auf.

Zwar leben noch 80 Prozent der Kinder mit beiden leiblichen Eltern zusammen. Die Scheidungsraten aber lassen vermuten, daß die „Patchwork-Familien“, also Familien mit Stiefeltern oder neuen Partnern, im kommen sind. Laut Statistik wird inzwischen fast jede dritte Ehe getrennt.

Das rauhere Klima in der Gesellschaft ist daran mitschuldig. Im Osten Deutschlands beispielsweise ist die Zahl der Geburten und Eheschließungen nach der Wende von 1989 um rund 65 Prozent gesunken – mit ein Ergebnis der miesen Beschäftigungslage und des Kahlschlags bei der staatlichen Kinderbetreuung. Da hilft auch nicht, daß Bundeskanzler Helmut Kohl die Familie nach wie vor als „das Fundament unserer Gesellschaft“ bezeichnet. Denn die Baukosten für das „Fundament“ sind immens gestiegen – und werden vor allem von den Familien privat getragen.

Würde man die Erziehungsarbeit von zwei Kindern, die entsprechenden Lebens- und Unterhaltskosten sowie das durch Erziehungsarbeit entgangene Einkommen allein bis zum 18. Lebensjahr in Geld bewerten, so käme man auf einen Betrag von etwa einer Million Mark, resümieren die Autoren des „Familienreports 1994“. Durchschnittlich kostet ein Kind die Eltern 830 Mark im Monat.

Kinder sind also, materiell gesehen, ein schlechtes Geschäft. Belohnung winkt aber auf der Gefühlsebene. Sozialstudien zufolge sind die emotionalen Bindungen in der Familie immer noch deutlich krisenfester als bei Freund- oder Liebschaften, insbesondere bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder sozialem Abstieg. Das stabile soziale Netzwerk kann allerdings auch Fessel sein – zumeist für die Frauen.

Nach Daten des Deutschen Jugendinstituts (DJI) sind in 60 Prozent der Familien immer noch die Frauen alleine für Kinder- und Altenbetreuung zuständig. Und bei der Schieflage in den Partnerschaften gibt es nicht allzu viel Aussicht auf Besserung. Nach einer Befragung von 1.000 Jugendlichen im Auftrag des Ministeriums für Gleichstellung im Bundesland Nordrhein-Westfalen glauben zwischen 45 und 56 Prozent der jungen Männer, Frauen sollten sich wieder mehr auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter besinnen.

Veranstaltungshinweise zum „Jahr der Familie“:

Samstag, 8. Januar, 10 Uhr: Festakt im Haus der Kulturen der Welt in Berlin mit Diskussionsforum;

Sonntag, 9. Januar, am gleichen Ort um 15 Uhr: Kinderforum, Forderungen von Kindern an die Politik;

Internationales Kolloquium „Familienfreundliches Wohnen“ – Ingolstadt, 15. und 16. September;

Internationaler Wissenschaftskongreß zum Thema „Familienleitbilder und Familienrealität im Wandel“ – Universität Bamberg, 5. bis 7. Oktober;

Tagung „Hilfen für Eineltern-Familien“ in Berlin vom 14. bis 16. Oktober;

Weitere Hinweise beim Organisator, der Deutschen Nationalkommission in Bonn, Telefon 0228- 25 84 64 oder 25 83 37.

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