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■ ÖkolumneFleischeslust Von Thomas Worm

Europas Rinderwahnsinn hat einen Namen. Nicht BSE. Nein, wir reden von Exportpreisdumping. 50.000 Tonnen gefrorene Kuhleiber aus der Europäischen Union bringen zahllosen Nomaden der Sahel-Zone den Tod. Wie das? Rund vier Mark Ausfuhrbeihilfe pro Kilo Rindfleisch zahlt Brüssel seinen Bauern. Daher kommt es, daß deren unverkäufliches Fleisch oft noch unter Selbstkostenpreis an der westafrikanischen Küste landet. Auf dem Markt von Abidjan, Hauptstadt der Elfenbeinküste, liegen die europäischen Ochsenschwänze und Kalbsschnitzel – konkurrenzlos billig. Ein Pfund deutsches oder englisches Rindfleisch kostet im Schnitt 3,40 Mark. Für Fleisch hingegen, das aus dem Hinterland der Sahelzone in die Küstenstädte kommt, müssen die Käufer 8,50 Mark hinblättern. Wer will das bezahlen?

Dies trifft die drei Millionen nomadischen Viehhirten von Mali, Niger und Burkina Faso ins Mark. Sie können ihre Tiere nicht mehr wie früher absetzen. Kamen Mitte der 70er Jahre noch zwei Drittel des importierten Rindfleischs an der Elfenbeinküste aus dem Sahel, sind es jetzt nicht einmal mehr 25 Prozent. Die Europäische Union indessen hat durch ihr Preisdumping den Markt von Westafrika aufgerollt. Ihre Exporte haben sich versiebenfacht. Europas Steuerzahler finanzieren das Nomadensterben.

Natürlich ist das Maastrichter Killerfleisch auch ein ökologischer Unsinn hoch drei. Erstens holt sich die Europäische Union eine halbe Million Tonnen Futtermittel aus Westafrika, um damit das Exportvieh ihrer Veredelungslandwirtschaft hochzupäppeln. Enorme Transportenergie ist nötig, um das Schrot von sogenannten Getreidesubstituten (Soja, Nüsse, Palmkerne) Tausende Kilometer gen Europa zu bringen. Zweitens müssen die tiefgekühlten Kadaver die gleiche Strecke wieder zurück in die Tropen. Das Treibhaus Erde läßt grüßen. Drittens überweiden die unverkäuflichen Herden der Nomaden den Sahel-Gürtel, wo die Wüste ohnehin erbarmungslos vordringt.

Doch damit nicht genug. Das Preisdumping konterkariert auf absurde Art die Entwicklungshilfe. Hunderte von Millionen wurden bisher von der EG in Afrikas Rindfleischsektor gepumpt. Erklärtes Ziel: die Eigenversorgung des Kontinents. Allein die BRD wies bis 1988 etwa 84 Millionen Mark an. Heute nun steht zum Beispiel eine Auffütterstation in Ferkessedougou (Elfenbeinküste) für 33 Millionen Mark am Abgrund. Das Projekt wurde mit Unterstützung der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit hochgezogen. Weil aber der regionale Viehhandel fast vollends darniederliegt, braucht nichts mehr verfüttert zu werden.

Europas perverse Lust am Fleischexport ist nicht unverborgen geblieben. Als im Sommer Germanwatch und andere Organisationen ein Dossier zum Thema veröffentlichten, kanzelte sie der zuständige Referent des Bundeslandwirtschaftsministeriums spöttischFoto: taz-Archiv

ab. Das ist die „Loch-Ness-Geschichte dieses Sommers“, hieß es da. Und schließlich sei es Sache der afrikanischen Staaten, ob sie Billigfleisch hereinlassen oder nicht: „Natürlich wollen sich die Regierungen die städtischen Massen bei Laune halten“ – Plädoyer eines Unbelehrbaren für die Rindfleischkultur des Nordens. Immerhin konnte die Kampagne von Germanwatch den ersten kleinen Erfolg verzeichnen: Die Kommission der Europäischen Union kürzte die Exportzuschüsse auf Rindfleisch um 15 Prozent, die Ausfuhr wurde um fünf Prozent gedrosselt. Ein Tropfen auf den heißen Stein des Sahel.

Solange Europas Union ihre Agrarüberschüsse hegt und pflegt und Berge von totem Schlachtvieh auftürmt, werden die Politlobbyisten und gutdotierten Mitläufer in den Ministerien dem Preisdumping das Wort reden. Für sie ist die Welt ein ungeheures MacDrive-in, wo der Preisknüller Rindfleisch am meisten wiegt. Bürger und Burger zur großen Familie vereint, auch in Westafrika. Pech, daß dabei Tausenden von Verhungernden der Appetit vergeht. Doch Zynismus beiseite.

Der deutsch-europäische Rinderwahn stinkt zum Himmel. Die Euro- und Germanokraten haben dafür keinen Riecher. Deshalb folgender Tip: Zwei, drei dünne Streifen Carpaccio einige Tage neben die Heizung legen und eintüten. Mit ein paar bitterbösen Zeilen adressieren an Jochen Bochert, Bundeslandwirtschaftsminister, 53 123 Bonn, Rochusstraße 1.

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