: Karl Marx als Briefbombe
■ Wie Georgi Dimitroff Angst und Schrecken provozierte
Berlin (taz) – Bomben lieben zu lernen, das ist seit kurzem so eine Sache. Die der neuen Generation sollen auf dem Postwege zum Detonationsort kommen. Bloß, woran erkennt man sie? Sie geben sich unscheinbar. Wie dieser Brief: sandfarben, holzfusselgemasert, normgerechtes Großformat, Gewicht: 160 Gramm. Wach blickt die junge Sophie Scholl von der 1,50-DM-Briefmarke. Der Brief wurde am 5. Januar in Frankfurt am Main aufgegeben und kam unbeschadet am Tag darauf in Berlin an. Ist es die Schlichtheit der Sendung, die stutzig macht? Die Kargheit des Rots, das eine Büchersendung ankündigt? Der Adressenaufkleber, unverfänglich von einem Comuterdrucker gesetzt? Verbergen die sechs Nullen einen geheimen Code? Unter dem Firmennamen ausdrücklich der Vermerk: „z.Hd.v.“. Kein Absender. Verdächtiges Postgut, für alle, deren Name in der Nazi-Liste Der Einblick steht. Verräterische Indizien der mörderischen Absicht? Jedenfalls schlägt der Puls höher. Unscheinabr sieht er halt aus, wie er so flach auf dem Tisch liegt. Langsam fährt die Hand über das Papier, spürt drei Heftklammern. Der Metalldetektor piept. Fühlt sich wie ein kleiner Stapel an, zur Mitte hin steifer werdend. Die innere Alarmanlage schrillt, die Polizei rast mit drei Einsatzfahrzeugen herbei; Büroetagen werden evakuiert, der Sprengtrupp kommt.
Nach einer halben Stunde Aufatmen. Fehlanzeige. Mit spitzem Lächeln überreicht der Sprengmeister den Inhalt. Ein Rundschreiben. „Genossinnen und Genossen, Freunde und Freundinnen, die Nazi-Broschüre Einblick stellt eine ernstzunehmende Bedrohung dar“, heißt es. Deswegen anbei das Plakat „Chronik der Nazimorde von 91 bis 92“, ein Plakat mit dem Aufruf des Schriftstellers Ralph Giordano, ein Kommunistisches Manifest, diverse Aufkleber „Die ungebrochene Tradition zerschlagen!“ Auch das „Organ für den Aufbau der marxistisch-leninistischen Partei Westdeutschlands“ liegt bei, anonym zu bestellen mittels eines Adressenaufklebers mit aufgestempeltem Nummerncode.
Anruf bei dem Genossen. Warum benutzt er dieselben Methoden für seine Rundsendungen an alle wie die Neonazis? „Das machen wir immer so. Außerdem: Jemand, der auf der Liste steht, darf sich nicht in Sicherheit wiegen, weil ein Absender auf dem Briefumschlag ist.“ Neonazis geben Adressenlisten heraus, und linke Gruppen benutzen sie für eine Werbekampagne mit ihren Traktaten. Eine aparte Aktion. Direct-mailing der anderen Art. Das mag Genosse Dimitroff gar nicht gerne hören. Er versteht nicht, warum die Antirassisten schweigen. Lediglich vier Tage sei die Liste wie eine „Staatsaktion“ behandelt worden. „Und noch immer warte ich auf eine Welle der Empörung von seiten der Antifaschisten.“ Und die wollte der Genosse lostreten. Schönes Eigentor. Darauf können ein paar Neonazis gelassen einen heben und ihren Lieblingsspruch klopfen: Wir kriegen euch alle. Ein paar Blöde haben sie schon. roga
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen