piwik no script img

Sehr interessant, Jürgen Maly! -betr.: "DGB: Geheimkür der Kammer-Präsidenten", taz vom 5.1.94

betr. „DGB: Geheimkür der Kammer-Präsidenten“, taz vom 5.1.94

Die Arbeitnehmerkammern wären also demokratische Hochburgen und die Kammerwahl stünde allen Arbeitnehmerorganisationen offen? Oder ist es nicht vielleicht doch so, daß andere Organisationen sich erst einmal -zig Jahre auf dem Markt organisierter Arbeitnehmer-Interessenvertretungen behaupten müßten, bevor sie eventuell in die Fleischtöpchen der Kammern greifen dürften? Womit ihr zielgenau bei der Änderung des Kammergesetzes damals jede neue soziale Bewegung ausgegrenzt habt?

Natürlich steht dies nicht als Klartext im Gesetz. Wer wäre auch so bescheuert? Schamhaft hast du ja auch das entscheidende Wörtchen „dauerhaft“ in Klammern gesetzt. Faktisch ist es so, als hätten die ideologischen Gebrauchtwagenhändler DGB und DAG beschlossen, daß jede neue Konkurrenz erst einmal etliche Jahre Autos ohne Motor verkaufen muß, bevor sie gleichberechtigt das volle Produkt auf den Markt bringen darf.

Dabei gäbe es durchaus Marktchancen für Neulinge. Wie wir alle wissen, hat das altgewerkschaftliche Ideenprodukt im Grunde das Verfallsdatum weit überschritten. Darüber führt ihr seit Jahren intern eine Debatte, nur kommt ihr an euren Dinosauriern da oben nicht vorbei. Auch eine Folge des überaus „sozial“-demokratischen Delegiertenprinzips bei euch: Je delegierter, desto „listiger“, desto konservativer (im Sinne von Tradition und Pfründe bewahrend). Deshalb lieben ja auch die Parteimenschen dieses Prinzip – und die Menschen die Parteien nicht.

Das Kammergesetz in Bremen ist unter SPD-Beihilfe so umgestrickt worden, daß in absehbarer Zeit keine Arbeitnehmervertretung die Kammern übernimmt, die sich nicht dieser Beihilfe als würdig erweist. Alle paar Jahre führt ihr mit der DAG (als einer kleinbürgerlichen und kudellabelasteten Variante des gleichen Ideolgie-Shops) einen Pseudowahlkampf, der die Menschen so sehr interessiert wie vor 1989 der Wahlkampf zwischen SED und (Ost-)CDU den DDR-Bürger. Es geht dabei darum, ob Posten A (B,C,D..) an Willi Wichtig oder an Hugo Hilfreich geht, – oder ob quotiert werden muß.

Was aber wäre, wenn die Arbeitnehmer einfach nicht mehr den DGB bzw. die DAG als ihre Interessenvertretungen betrachteten? Würden die gewerkschaftlichen „Demokraten“ ihre zwangsbeiträglichen Zwingburgen schleifen, würden sie die Bastionen klaglos räumen oder würden sie der Ansicht des Mini-Stalins Wilhelmi von der IG Medien sein, der befand, daß „die Meinungsfreiheit seine (!) Grenzen hat“, wo die Interessen des DGB tangiert werden. Nein, nein, Jürgen Maly, ohne Urwahlen, ohne Konkurrenz, ohne Abschaffung des Delegiertenprinzips und der Listenwahl ist den Gewerkschaften nicht zu helfen. Dann bleibt ihr eben, wie ihr seid: linientreu, karrierefest, bürokratisch, grau und lodenmäntelig im resonanzfreien Raum. Eben absolut unwählbar. Und bevor du mit den Aufgaben der Kammer herumtrumpfst: Weiterbildung und Rechtsberatung kann auch in Gesellschaftsform organisiert werden. Glücklicherweise sind in Gewerkschaften und Kammern nicht alle deiner Ansicht. Meiner Ansicht bestimmt aber auch nicht.

Klaus Jarchow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen