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Haben Sie nicht diese Engelchen?

■ Seit gut zehn Jahren boomen die Kunstdrucke, aber die Launen der Kundschaft sind unerforschlicher denn je

Die Wege zur Kunst sind gewunden. „Es gibt da doch“, sprach einmal ein Kunde, „diese nächtliche Barszene mit Elvis und der Monroe.“ Herr Goldbeck wußte gleich Bescheid. Das Bild des Epigonen Gottfried Helnwein ist ja viel berühmter als das Original Edward Hoppers - er griff in den Posterständer „Dekor“, und zack! ...Der Kunde aber wollte mehr: „Nein, ein Bild mit einer Innenansicht von dieser Bar...“

„Das sind so Momente, da muß man Fassung bewahren“, sagt der Chef der „Galerie“ am Hillmannplatz. Man entdeckte nämlich gemeinsam, daß der Kunde die scheußliche Abendmahlsszene von Renato Cesaro meinte, die ausschließlich mit Hollywood-Personal bestückt ist (auch: Elvis und die Monroe). Übrigens ein Renner unter den Kunstpostern.

Die Früchte der breitenkulturellen Kunsterziehung ernten die Posterläden. Der Niederschlag des Kunstbooms vergangener Jahrzehnte näßt den Boden, aus dem die quietschbunten Kunstdruckbuden in den deutschen Innenstädten wie Pilze schießen. Kunst an der Wand ist in, das Geld ist knapp: Holen wir uns einen Van Gogh für zwanzig Mark!

Herr Goldbeck ist gelernter Drucker, hat seinen Laden seit acht Jahren und eine nüchterne Vorstellung von seinen Kunden: „Das Gros will passendes Dekor. Die kommen gleich mit einem Stoffetzen oder einem Stück Teppich in der Hand herein.“ Und suchen was Angesagtes, zur Zeit gern was Abstraktes, „modern Wirkendes“.

Pop Art läuft immer, Roy Liechtenstein zum Beispiel, Warhol auch noch. Keith Haring boomt, seit er tot ist. Dauerbrenner ist die Klassische Moderne, ganz vorn Kandinsky, gefolgt von Klee, Macke... Nur bei Nolde funktioniert der Markt nicht: Da sitzt die Nolde-Stiftung auf den Rechten und rückt sie nicht raus; man behilft sich mit Ausstellungsplakaten. Manchmal kommen auch Leute vorbei, erinnert sich Goldbeck, die heiße Ware anbieten, gegen Bares, versteht sich.

Noch viel näher am Volk ist die Kunst natürlich bei Karstadt. Der absolute Renner ist derzeit Gold. Der Fachmann spricht von „Goldfolienprägung“, wir indes glauben an Blattgold! Wie auf der großen Seidenmalerei von „MF“ für 790 Mark, einem gewaltigen, eruptiven Schwung in Rot mit bewegenden Goldinseln in Kirschwurzelimitat. Oder auf einem Bauer-Verkest mit dem Titel „And a Touch of...“ Na was? „...Gold“.

In den zügellosen Goldrausch mischt sich seit einem Jahr die Mode, das Motiv des Bildes aufzunehmen und über den Rahmen hinweg fortzumalen. So ergeht es den Hundertwassserpostkarten (mit viel Gold), deren Rahmen hundertwassermäßig geschnitzt und bemalt sind.

Kandinskys „Struttura allegra“ wird in ihrer Struktur verstanden und von einem namenlosen Rahmenkünstler auf dem Rahmen weitergemalt. Auch Klimt wird zutiefst nachempfunden. Seine braunen Kringel wird er ja wohl nur aus Sparsamkeit nicht golden inszeniert haben. Deshalb auf dem Rahmen: Goldkringel.

Im „Viertel“ drängt sich der Kunstverstand natürlich auf ganz besondere Weise. Dort feierte im letzten Dezember der Ex-Sozialpädagoge Jens Schumacher den zehnten Geburtstag seines Lädchens „Art'n'Cards“ am Dobben. Das Geschäft ist etwa so alt wie der Boom der Branche in Deutschland. Schumacher erinnert sich gut an die Zeit, als Kandinsky noch ein Ladenhüter war.

Wie die Moden in seiner Branche funktionieren, hat er bis heute nicht kapiert. Auf einmal will alle Welt Raffaels Sixtinische Madonna, aber nicht etwa in Gänze, sondern nur die beiden süßen, schräg äugenden Engelchen. Genauso bei Michelangelos Schöpfungsakt. Hier finden nur die beiden Finger reißenden Absatz.

Es kommt vor, daß sich alle Ladenbesitzer auf der Frankfurt-Messe (Abt. „Bild und Rahmen“) verabreden, einen bestimmten Künstler zu puschen - alle kaufen, alle bleiben darauf sitzen. Wer schlau war, deckte sich zum Van-Gogh- Jahr mit Sonnenblumenbildern und Selbstportraits ein - und wurde sie nicht los.

Nicht einmal mit dem ältesten Trick des Handels läßt sich gezielt auf den Umsatz Einfluß nehmen: Sonderangebote bei Kunstdrucken werden nicht angenommen. Die Leute kommen mit einem Bild im Kopf in den Laden. Aber woher kommt das Bild?

Immer öfter hat der Kunde das Bild schon unterm Arm. Ein Ausstellungsplakat aus dem Centre Pompidou, von der New York Graphic Society oder aus der Bremer Kunsthalle (Rodin). Von vielen Nadeln durchstochen, mit Tesa geflickt - „die Zeit ist vorbei, daß man sich alles an die Wand pinnt“, weiß Schumacher. Wer die Ausstellung gesehen hat, läßt den Text dran; wer nicht, schneidet ihn ab.

Hinter Glas schick mit Rahmen, das kommt doch gleich anders. Und teuer. Der Kunstdruck als solcher kann zwar bis etwa 200 Mark kosten, doch die Schmerzgrenze liegt meist schon bei 40 Mark. Für gerahmte Kunstposter aber legt man schon mal 500 Mark hin. Und damit kommt man eigentlich in die Nähe der Originalkunst.

Siehe da: Herr Goldbeck hat in seiner „Galerie“ einen Trend ausgemacht - „nach Höherwertigem“. Er hat einen Klappständer eingerichtet, der heißt „Unikate und Limitierungen“. Hier finden sich Original-Radierungen und numerierte Siebdrucke.

Ja ist denn vielleicht das ganze Kunstdruckwesen nur eine historische Zwischenstation der Kunst auf dem Weg zum Volk? Da lacht Karstadt. Und winkt mit einem feingesprenkelten, abstrakt wirkendem, golden-floral gerahmten Bild vom unsterblichen Frai (450 Mark). Und hat recht. Denn wer weiß schon mehr vom Volk und seiner Kunst als Karstadt?

Burkhard Straßmann

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