: Realismus-Debatte bei den Grünen
Bündnis-grüner Länderrat diskutiert das Wahlprogramm / Kommissionsentwurf und „Global-Alternative“ sollen bis zum Parteitag zusammengemixt werden ■ Aus Göttingen Matthias Geis
Göttingen (taz) – „Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter“ lautete 1990 das originelle Motto, mit dem die Grünen in den ersten gesamtdeutschen Wahlkampf zogen. Knapp fünf Prozent der WählerInnen fühlten sich angesprochen – zu wenig für die West-Grünen, um wieder in den Bundestag einzuziehen. Aus dieser Erfahrung wollen Bündnis90/ Die Grünen diesmal Konsequenzen ziehen.
Bei der Schwerpunktsetzung für den Bundestagswahlkampf werden sie sich nicht von den anderen Parteien unterscheiden: Die Wirtschaftspolitik steht, eng verzahnt mit Vorschlägen zum ökologischen Umbau, im Zentrum des Wahlkampfs. Darüber herrscht Einigkeit.
Gestritten wurde am Wochenende, beim Länderratstreffen in Göttingen, über die wirtschaftspolitischen Forderungen. Dem Entwurf der Programmkommission, der auch vom Bundesvorstand getragen wird, steht unter dem Titel „Global-Alternative“ ein Vorschlag der Parteilinken gegenüber. Bis zum Herbst hatten die Vertreter beider Konzepte noch an einem gemeinsamen Entwurf gearbeitet. Erst danach, so Buvo-Mitglied Friedrich Heilmann, der in Göttingen die „Global-Alternative“ präsentierte, habe man sich entschlossen, einen eigenen Entwurf „ohne vorauseilenden Gehorsam“ gegenüber möglichen Koalitionspartnern zu formulieren.
Wie realistisch muß ein grünes Wahlprogramm sein? lautete in Göttingen die Streitfrage. „Die Leute wollen ,Grün pur‘“, begründete Daniel Kreuz (NRW) die „Global-Alternative“. Koalitionskalküle dürften nicht schon bei der Formulierung der eigenen Forderungen die zentrale Rolle spielen. Um Wahlkampf führen zu können, „brauche man eine klare und deutliche Sprache“, mahnte Bärbel Höhn (NRW).
Demgegenüber verwies Marieluise Beck auf den Zusammenhang zwischen Politikverdrossenheit und den uneingelösten Versprechungen der Parteien. Die Grünen dürften gerade nicht Erwartungen wecken, deren Enttäuschung schon jetzt absehbar sei. Vielmehr müßten sie, etwa beim Thema Grundsicherung, ihre Forderung aufstellen, zugleich aber vorhersehbare Schwierigkeiten bei der Durchsetzung thematisieren und „Teiloptionen“ benennen. Das sei der politische Stil, mit dem die Grünen „verantwortlich“ Wahlkampf betreiben könnten. „Es kann sein, daß wir das umsetzen müssen“, plädierte auch Buvo- Mitglied Eberhard Wagner für ein „machbares“ Programm.
Als „romantischen Radikalismus“ kritisierte Reinhard Bütikofer dann das Finanzierungskonzept der „Global-Alternative“. Summiere man die Vorschläge, so komme man im ersten Jahr einer rot-grünen Regierung auf Steuermehreinnahmen in Höhe von 173 Milliarden, eine Steigerung von 23,7 Prozent. Auch mit der Rückführung der Nettoneuverschuldung um 50 Milliarden hätten sich die Autoren für einen Job bei Theo Waigel prädestiniert. Bütikofers Rechnereien widersprachen die Verfasser nicht, merkten jedoch kritisch an, daß der Komissionsentwurf erst gar keine Zahlen vorlege.
Gestritten wurde in Göttingen weiter über den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie, die Haltung zur Gentechnologie sowie über die künftige Verwendung der Öko-Steuern. Beim Atomausstieg plädierten die „Global-Alternativen“ für die Beibehaltung des grünen „Sofortismus“, während der Kommissionsentwurf den Schwerpunkt auf ein realistisches Ausstiegsszenario legen will. Bei der Gentechnologie sprach die grüne Europaabgeordnete Hildrud Breyer für die konsequente Ablehnung der Risiko-Technologie. Der Kommissionsentwurf hält Ausnahmen bei der medizinischen und pharmazeutischen Nutzung für verantwortbar.
Bei der Verwendung der Öko- Steuern entzündete sich der Konflikt am Vorschlag der Kommission, einen Teil für die Reduzierung der Lohnnebenkosten zu verwenden. Der Gegenentwurf fordert, die Steuererlöse für den ökologischen Umbau sowie den Ausgleich sozialer Härten einzusetzen. Demgegenüber argumentierte Ralf Fücks, die zentrale Bedeutung der Öko-Steuern liege nicht bei der Erschließung neuer Finanzquellen. Vielmehr gehe es um die ökologische Steuerung der Produktion, ein Ziel, das den Unternehmen nur über das finanzielle Eigeninteresse eingepflanzt werden könne. Dies jedoch sei mit „brachialen Eingriffen“ nicht zu realisieren. Wer an der Einführung von Öko-Steuern interessiert sei, müsse über eine Kostenkompensation nachdenken.
Der Länderrat stimmte nicht über die beiden Alternativkonzepte ab. In den kommenden Wochen sollen weitere Vermittlungsversuche unternommen werden. Falls das mißlingt, entscheidet der Parteitag am 25. bis 27. Februar in Mannheim.
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