: Deutlich zu hoch gepokert
Die Metallgesellschaft steht nach einer einmaligen Expansionsoffensive vor dem Ruin / Mit riskanten Ölterminspekulationen ausgerutscht ■ Von Erwin Single
Berlin (taz) – Ohne Umschweife kamen die Herren zum Kern der Sache. Die Gläubigergemeinde soll 90 Tage stillhalten und dem weitverzweigten Allroundkonglomerat eine neue Finanzspritze von insgesamt 3,2 Milliarden Mark verpaßt werden. Den Rest will die Runde mit dem größten Ausverkauf in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bewältigen: Der angesammelte Gemischtwarenladen soll erheblich gestrafft und anschließend strategisch neu ausgerichtet werden.
Heute abend um 17 Uhr wird die Sanierungscombo um den erfahrenen Trouble-Shooter Hajo Neukirchen wissen, ob ihr Plan für eine der größten Rettungsaktionen der Nachkriegszeit aufgeht. Dann nämlich läuft die Frist ab, bis zu der sich der illustre Kreis von über 100 Gläubigerbanken und Großaktionären der heillos überschuldeten Metallgesellschaft (Umsatz: 27 Mrd. DM) auf ein Sanierungskonzept geeinigt haben müssen. Falls die Banken nicht bluten, bleibt Neukirchen, der kurz vor Weihnachten den vor die Tür gesetzten Vorstandschef Heinz Schimmelbusch ablöste, nur ein Weg: der Gang zum Vergleichsverwalter. Damit wäre für das 286 Firmen umfassende und über 60.000 Beschäftigte zählende Imperium, immerhin Nummer 14 der deutschen Industriekonzerne, nicht mehr viel zu holen. Die MG- Belegschaft hat dem neuen Vorstand trotz Befürchtungen über einen bevorstehenden massiven Arbeitsplatzabbau bereits symbolischen Flankenschutz gegeben.
Kaum jemand zweifelt jedoch daran, daß sich die Gläubigerversammlung auf die Vorschläge einlassen wird. Bei einem Konkurs, das wissen die Banker nur zu gut, würde ihnen ein weitgehender Forderungsausfall ins Haus stehen. So erklärte etwa Eberhard Zinn, Vorständler der Bayerischen Landesbank, es läge im Interesse der Metallgesellschaft, wenn das Konzept angenommen werde. Der Rohstoff-, Handels- und Recyclingkonzern steht bei der BayernLB, nach der Deutschen Bank (593 Mill. DM) zweitgrößter Einzelgläubiger, mit rund 380 Millionen Mark in der Kreide. Tief in der Tinte sitzen auch zahlreiche ausländische Kreditinstitute, allen voran die französischen Großbanken Credit Lyonnais (242 Mill. DM) und Societe Generale (235 Mill. DM).
Der Schock kam beim Addieren: Mindestens acht Milliarden Mark Schulden förderten die Revisoren zu Tage, auf knapp zwei Milliarden beläuft sich der Konzernverlust im vergangenen Jahr. Noch nicht eingerechnet sind die Verluste aus waghalsigen Rohöl-Termingeschäften, die bereits ein Loch von 800 Millionen Mark gerissen haben und Schimmelbusch letztlich den Job kosteten. Je nach Ölpreis können sie sich auf weit über zwei Milliarden Mark auswachsen, falls sich die leichtfertig eingekauften und auf ungewöhnlich lange Laufzeiten ausgerichteten Lieferkontrakte nicht schnell wieder abstoßen lassen. Schimmelbuschs MG-Leute hatten über die New Yorker Metallgesellschaft Corp. auf steigende Ölpreise spekuliert und dabei die Kapitalsubstanz des Unternehmens aufs Spiel gesetzt. Doch die Preise purzelten, und die Schwierigkeiten begannen. Jeder Kontrakt bescherte einen kleinen Verlust; im Dezember mußten dann die Banken wegen der Ölgeschäfte neue Kredite von 1,5 Milliarden Mark bereitstellen. nach der fristlosen Entlassung Schimmelbuschs zauberte die Deutsche Bank schnell die amerikanische Ölhändlerin Nancy Kropp aus dem Hut, die den Bankern vor gut fünf Jahren schon einmal bei dem ebenfalls durch dubiose Ölgeschäfte konkursreif geschlagenen Handelshaus Klöckner aus der Patsche half. Die geniale Traderin soll nun helfen, die Ölgeschäfte rasch abzuwickeln.
Unterdessen gehen die Spekulationen über bevorstehende Räumungsverkäufe weiter. Neukirchen hatte bei seinem Amtsantritt unverholen erklärt, die Metallgesellschaft werde sich künftig auf das Kerngeschäft konzentrieren. Mit dem Verkauf von Konzernteilen will der Sanierer zwei Milliarden Mark in die leeren Kassen fließen lassen. Erster Posten auf der Verkaufsliste ist die 46prozentige Beteiligung an dem Neckarsulmer Autozulieferer Kolbenschmidt (Umsatz: 1,6 Mrd. DM); als heißester Bewerber wird die britische Zulieferer-Gruppe T&N Plc. gehandelt. Den Besitzer wechseln dürfte auch der Heizungsbauer Buderus (Umsatz: 2,8 Mrd. DM). Ebenfalls nicht ins Konzept paßt der Sanierungsmannschaft der erst 1992 eingekaufte Troisdorfer Chemie- und Sprengstoffhersteller Dynamit Nobel (Umsatz: 2,8 Mrd. DM). Unter den Hammer bringen wollte Neukirchen zudem die kanadische Bergbaugesellschaft Metall Mining Corp. Doch kaum war die Verkaufsabsicht angekündigt, bließ der MG-Chef zum Rückzug: Nach einem von der Metall Mining mit einem kanadischen Konsortium von Wertpapierhändlern abgeschlossenen Vertrag ist der Verkauf unzulässig.
Aber nicht nur die riskanten Ölterminspekulationen haben zum Desaster geführt. Immer mehr zeigt sich, wie die Metallgesellschaft durch den gnadenlosen Expansionskurs des Blenders Schimmelbusch in die Krise geriet. Schimmelbuschs Koordinaten waren einfach: auf der einen Achse hatte er die Produktionsstufen von Rohstoffen bis zu Fertigprodukten angeordnet, auf der anderen Achse die Materialien aufgetragen, die gewonnen und verarbeitet werden sollten. Schimmelbuschs Ziel: das 113 Jahre alte traditionelle Metall- und Hüttenunternehmen zu einem serviceorientierten Rohstoff-, Recycling- und Technologiekonzern auszubauen. Als Krake gefürchtet, ging der 1991 von dem Wirtschaftsmagazin Top Business noch zum „Manager des Jahres“ gekürte Schimmelbusch auf Raubzug. Reihenweise wurden Firmen und Industriebeteiligungen ins MG-Reich geholt, zu dem bereits der Umweltspezialist Lurgi oder die Hütten der Norddeutschen Affinerie gehörten. Seit seiner Bestellung zum Vorstandschef im Jahre 1989 schraubte Schimmelbusch so den Konzernumsatz auf das Vierfache hoch. Nun könnte der Größenwahn gar noch ein Nachspiel vor Gericht haben: Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat gegen Schimmelbusch ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue eingeleitet.
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