: Tristesse und Lottoglück in Hessen
In Hessen ist die rotgrüne Regierungsherrlichkeit dahin / Lotto-Skandal zieht Kreise / Ministerpräsident Eichel schweigt und verbarrikadiert sich in seiner Dienstvilla ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – Von der Aufbruchstimmung, mit der SPD und Grüne vor knapp drei Jahren angetreten sind, um das Hessenland sozial-ökologisch zu wenden, ist heute nichts mehr zu spüren. Tristesse ist angesagt bei der politischen Klasse im roten und grünen Gewande: Drei Staatssekretäre der Regierung Eichel/Fischer sind mit Brigitte Sellach (Grüne), Christoph Kulenkampff (SPD) und Erich Stather (SPD) schon über den politischen Jordan gegangen. Sellach und Kulenkampff mußten stellvertretend für ihre MinisterInnen Iris Blaul (Grüne) und Herbert Günther (SPD) ihre Hüte nehmen. Ihre zig Hüte raffte auch Ministerin Heide Pfarr (SPD) nach der Aufdeckung des Umzugskandals eilig zusammen. Und auch Hans Eichel selbst konnte sich im vergangenen Jahr nur schwer angeschlagen aus der Dienstvilla-Affaire herauswursteln.
Seit dem vergangenen Wochenende sorgt in Hessen ein neuer Skandal für landesweite Empörung: Die sogenannte Affäre de Lotto hat sich inzwischen zu einer handfesten Affäre der Landesregierung gemausert. Im Mittelpunkt der Kritik stehen Finanzministerin Annette Fugmann-Heesing (SPD) und ihr Staatssekretär Otto Geske (SPD). Angefangen hatte alles damit, daß Geske vor Wochenfrist nachgewiesen werden konnte, öffentlich die Unwahrheit gesagt zu haben. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Lottogesellschaft hatte der Staatssekretär Ende 1993 die Behauptung von CDU-Fraktionsgeschäftsführer Franz Josef Jung dementiert, wonach der Ex- Geschäftsführer der Lottogesellschaft, Dumschat (SPD), mit 200.000 Mark aus dem Staatssäckel abgefunden worden sei. Geske: „Eine verleumderische Behauptung aus der Dreckspritze.“
Nach dem Jahreswechsel mußte die Ministerin ihren Staatssekretär „korrigieren“. Dumschat hatte vor seinem Abgang zum Jahreswechsel die 200.000 Mark Abfindung kassiert – für die Räumung des Geschäftsführersessels und den „entgangenen Dienstwagen“. 240.000 Mark erhielt Dumschat bis dahin jährlich für seine eher repräsentative Teilzeitarbeit auf dem Lottothron – nicht gerechnet die ausgeschütteten Prämien aus den Gewinnen der Gesellschaft. Mit den 200.000 Mark Abfindung und seinem „Ruhegehalt“ in der Tasche darf der 52jährige Dumschat ganz privat spazieren fahren, während die Arbeitsämter Langzeitarbeitslosen die private Altersversorgung aus den Taschen ziehen. Doch damit nicht genug: Weil Dumschat wegen der ungewöhnlichen Höhe der Abfindung einer „steuerlichen Mehrbelastung“ ausgesetzt worden sei, gab es noch eine „Ausgleichzahlung“ in bislang unbekannter Höhe.
Das war nur der erste Akt in der Lottoaffäre. Als letzten Dienstag bekannt wurde, daß der Nachfolger von Dumschat auf dem Geschäftsführersessel der landeseigenen Lottogesellschaft, Hanns-Detlef von Uckro (SPD), insgesamt 270.000 Mark per Annum (plus Prämien und Dienstwagen) für seine „Dienste“ einstreichen darf, forderte die CDU/FDP-Opposition nicht mehr nur den Kopf von Geske.
Offensichtlich sei die Finanzministerin selbst in den „Lotto- Sumpf“ verstrickt, sagte der Unionsabgeordnete Karlheinz Weimar vorgestern in Wiesbaden. Und der FDP-Abgeordnete Hans-Jürgen Hielscher wollte gar ein „Beziehungsgeflecht“ entdeckt haben, in dem auch Ministerpräsident Hans Eichel eine unrühmliche Rolle spiele.
Tatsache ist, daß sowohl Fugmann-Heesing als auch Eichel an dem schon zum dritten Mal der öffentlichen Lüge überführten Genossen Geske festhalten. Tatsache ist auch, daß die wahren „Lottokönige“ in Hessen alle über das rote Parteibuch verfügen – und dafür mit fürstlichen Verfügungsmitteln ausgestattet wurden.
Ein Mann schweigt zu allem beharrlich und macht sich deshalb selbst für die SPD-freundliche Frankfurter Rundschau „schuldig“: Ministerpräsident Hans Eichel. Der „Schweiger aus Kassel“ hat sich in seiner Dienstvilla verbarrikadiert. Und seit dem Abgang von Regierungssprecher Erich Stather muß der stellvertretende Regierungssprecher Georg Dick (Bündnis 90/Die Grünen) den „Blitzableiter“ spielen. Auch in anderen Bundesländern, so Dick, würden die Geschäftsführer „in Orientierung an den Gehältern in der freien Wirtschaft“ bezahlt. Daß Geske die satte Abfindung für Dumschat geleugnet habe, sei „ein Fehler“ gewesen: „Aber sollen wir dem Mann dafür gleich den Kopf abreißen?“
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ging gestern allerdings auf Distanz zu den Problemen des sozialdemokratischen Koalitionspartners: Gerade vor dem Hintergrund der Parteien- und Politikverdrossenheit, so Rupert von Plottnitz, sei „politische Sensibilität und Zurückhaltung im Umgang mit öffentlichen Geldern und politischen Einflußsphären“ angesagt. Der Fraktionschef plädierte dafür, demnächst darauf zu verzichten, Beamte oder Bedienstete der Landesregierung in die Geschäftsleitungen landeseigener Unternehmen zu entsenden.
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