: Joschka Fischer: Was sollen wir wollen?
■ Der Elder statesman der Grünen fordert die Anerkennung des realexistierenden Kapitalismus
Berlin (taz) – Der hessische Umweltminister Joschka Fischer hat seine Partei davor gewarnt, mit uneinlösbaren Forderungen im Wahlprogramm die Chance einer rot-grünen Reformpolitik nach den nächsten Bundestagswahlen zu verspielen. In einem Beitrag für die taz erklärt er, die Forderungen für eine sozial-ökologische Reformpolitik müßten sich allein an den Kriterien der Machbarkeit und Mehrheitsfähigkeit orientieren. Die Übung früherer Jahre – radikales Programm, vage Durchsetzungsperspektive – könnte leicht dazu führen, das Wahldebakel von 1990 zu wiederholen. Damals waren die Grünen nach einem Wahlkampf zur Klimakatastrophe an der Fünfprozenthürde gescheitert.
„Machbarkeit, Finanzierbarkeit, rechtliche Schranken, außenpolitische Rücksichtnahmen“ seien, so Fischer, „keine Liebesbeweise an Koalitionspartner oder knieweicher Programmverrat, sondern unverzichtbare Bestandteile eines vernünftigen, erfolgsorientierten und verantwortlichen Politikkonzepts.“ Fischer reagiert damit auf die laufende Programmdebatte der Partei, die sich auf dem letzten Länderratstreffen an den wirtschaftspolitischen Forderungen entzündet hatte. Die Parteilinke hatte dem vom Bundesvorstand mitgetragenen Entwurf der Programmkommission ein eigenes Wahlkonzept unter dem Titel „Globalalternative“ gegenübergestellt.
Die Parteilinke kritisiert den Entwurf des Bundesvorstandes als „vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem künftigen Koalitionspartner“ und forderte ein „grün-pures“ Programm für die Bundestagswahlen. Sofortiger Atomausstieg, prinzipielle Ablehnung der Gentechnologie, massive Steuererhöhungen, Umverteilung von oben nach unten sowie die Verwendung der Öko-Steuer sind einige der aktuellen Streitpunkte, die auf dem Wahlparteitag im Februar entschieden werden sollen.
In seinem Text weist Fischer den Vorwurf einer programmatischen Anpassung an Koalitionspartner zurück und warnt zugleich vor den „radikalen Verspieltheiten“ vergangener Jahre. Eine „kräftige nationale Umverteilungspolitik von oben nach unten“ würde „schneller enden, als sie zu Papier gebracht wurde“. In der Außenpolitik könne nur ein Zyniker den Grünen empfehlen, ihren Wahlkampf mit der Forderung nach Abschaffung der Bundeswehr und Austritt aus der Nato zu bestreiten. Die Grünen könnten „hochzufrieden“ sein, wenn es ihnen in einer rot-grünen Koalition gelänge, eine weitere Militarisierung zu verhindern. In der Wirtschaftspolitik sollten sich die Grünen auf die Forderung nach einer gerechten Verteilung der Arbeit sowie den Beginn eines ökologischen Umbaus in Energie-, Verkehrs- und Steuerpolitik konzentrieren. Seite 10
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