: Der Mörder ist der Gärtner
Im ewigen Duell zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid sind die Katalanen schwer obenauf / Real mal wieder vor Trainersturz ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – Die iberische Karriere des Johan Cruyff war seit jeher eng mit Real Madrid verknüpft. Kaum hatte der Niederländer 1974 zum erstenmal das blaurote Trikot des FC Barcelona übergestreift, gelang dem Klub einer der größten Coups des katalanischen Nationalismus mit fußballerischen Mitteln. Im Madrider Bernabeu-Stadion wurde gegen Francos Lieblingsklub Real mit 5:0 gewonnen, ein historischer Triumph, den Kommentatoren als den „Sieg des Heute gegen das Gestern“ feierten. Cruyff war im Handumdrehen zur Speerspitze der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung avanciert, eine Rolle, die er sichtlich genoß und durch die häufige Betonung, daß er sich als Katalane fühle, sowie symbolische Handlungen wie die Taufe seines Sohnes auf den Namen Jordi nach Kräften förderte.
Die Vormachtstellung Reals konnte er als Spieler jedoch nicht erschüttern, mehr als eine Meisterschaft war ihm nicht vergönnt. Dafür hält er sich nun als Trainer des FC Barcelona schadlos. Zweimal in Folge schnappte er den Madrilenen den sicher geglaubten Titel am letzten Spieltag weg und es war wieder ein 5:0, diesmal im eigenen Nou-Camp-Stadion, das am vergangenen Samstag den verabscheuten Rivalen in Abgründe schleuderte, denen er sich gerade entronnen glaubte. Gleichzeitig wurde der Unterschied an spielerischer Klasse zwischen den beiden Teams drastisch vor Augen geführt. „Madrid ist nun mal Madrid und wenn man sie bezwingt, dann ist man wer“, freute sich Cruyff diebisch über den Husarenstreich.
Real Madrid hatte sich nach mißratenem Saisonstart gerade an die Spitzengruppe herangetastet, Barcelona schwebte nach einem 0:2 bei Sporting Gijón in Gefahr, den Anschluß zum Tabellenführer Deportivo La Coruña zu verlieren. Doch die Galizier werden als Meisterschaftskandidaten ohnehin nicht ernst genommen, ein anderer Champion als Madrid oder Barcelona ist in Spanien derzeit kaum denkbar. Bei einem Sieg im Nou Camp wären die beiden Teams plötzlich punktgleich gewesen, und dieser Fall schien gar nicht so unwahrscheinlich, nachdem Real kurz vor Weihnachten im Supercup die Oberhand behalten hatte und dabei in der katalanischen Hauptstadt 1:1 gespielt hatte. Im letzten Juni waren die Spieler von Coach Benito Floro gar als 2:1-Sieger vom Rasen des Nou Camp geschwebt.
Doch das deklassierende 5:0 zeigte die Probleme von Real deutlich auf. Zwar macht die Mannschaft Druck, aber vor dem gegnerischen Strafraum weiß sie nicht so recht, wohin mit dem Ball. Immer wieder wird der kopfballstarke Chilene Ivan Zamorano mit hohen Flanken gesucht, ist er abgeschirmt, passiert nicht viel. Ganz anders der FC Barcelona. Dessen Tore sind in der Regel perfekt herausgespielt, über 80 Prozent aller bisherigen Treffer fielen nach Kombinationen. Dem 1:0 gegen Real ging eine Ballstafette über sieben Stationen von Torwart Zubizarreta bis zum Torschützen Romario voraus, beim 3:0 waren sieben Spieler beteiligt, beim 4:0 neun und beim 5:0, Ausgangspunkt wieder Zubizarreta, waren es sogar elf Stationen. Lediglich das 2:0 resultierte aus einem Koeman-Freistoß.
Endpunkt der Barça-Kombinationen ist in der Regel der Brasilianer Romario, der bislang sechzehn der 38 Saisontreffer erzielt hat, knapp 42 Prozent. Eigentlich hatte der 27jährige, als er noch beim PSV Eindhoven ein isoliertes Dasein fristete, die Nase voll vom Fußball. „Es ist ein sehr schmutziges Spiel, in dem du niemanden vertrauen kannst. Viele der Spieler, Trainer und Funktionäre sind Lügner“, klagte Romario und kündigte an, an seinem 29. Geburtstag aufzuhören. Doch dann kam Cruyff und holte den als faul und schwierig geltenden Stürmer nach Barcelona. Aus einem einfachen Grunde: „Er ist der einzige Spieler, der auf einem Quadratmeter dribbeln kann.“
Auch bei seinen Mitspielern stieß Romario, der in puncto Torschußvarianten und Präzision höchstens mit Gerd Müller vergleichbar ist, auf Begeisterung. „Romario und van Basten sind die Besten auf ihrem Posten“, lobt der Däne Michael Laudrup. „Der Brasilianer ist tödlich auf den ersten fünf Metern. Er hat einen explosiven Antritt und dann, vor dem Torwart, bremst er ab, wird ganz ruhig, gerät nicht in Panik. Gib ihm einen Ball und er landet im Netz.“ Unter diesen Umständen fiel es Romario nicht schwer, sich in Barcelona einzuleben. „Die Mannschaft versteht den Fußball und trainiert mit dem Ball, nicht mit der Hantel. Es gibt Leidenschaft auf den Rängen und die Stadt hat einen Strand.“ Selbst der Grad der Wasserverschmutzung dürfte den Carioca an seine Heimatstadt Rio de Janeiro erinnern.
Das Problem mit Romario ist nur, daß er den Torerfolg monopolisiert. Laudrup, in der letzten Saison zehnfacher Torschütze, hat erst einmal getroffen, der Bulgare Hristo Stoitschkow, im Vorjahr zwanzigmal erfolgreich, hat brav die Rolle des Zulieferers und Lückenreißers für Romario übernomen und selbst erst fünf Treffer erzielt. Wenn es bei Romario nicht läuft, ist das Team in Schwierigkeiten. Schon fünfmal wurde in dieser Spielzeit kein Tor erzielt. Das passierte in der gesamten letzten Saison nur viermal, im Jahr davor sogar nur zweimal. Und selbst Romarios Tore genügen nicht immer. Bei Atletico Madrid gelang ihm ein Hattrick, dennoch verlor Barça mit 3:4.
Johan Cruyff ficht das wenig an. In der Meisterschaft ist er La Coruña dicht auf den Fersen, im Pokal durch ein geruhsames 1:1 im Rückspiel gegen Gijón im Viertelfinale und auch in der europäischen Champions League stehen die Chancen nicht schlecht.
Ganz anders Real Madrid. Hier wackelt der Stuhl von Benito Floro immer heftiger, auch wenn er selbst, naturgemäß, seine Ablösung für unsinnig hält: „In vier Jahren gab es sechs Trainer und es hat wenig genützt.“ Auch Präsident Ramón Mendoza sprach sich, streng in der Diktion spanischer Fußballpräsidenten, gegen einen Rausschmiß des Coaches aus: „Das ist, als wenn sich in deiner Familie herausstellt, daß der Sohn drogensüchtig ist, deine Tochter Prostituierte und deine Frau sich mit dem Chauffeur herumtreibt. Und um alles das zu regeln, entläßt du den Gärtner.“ Nichtsdestotrotz scheint der neue Gärtner schon eifrig gesucht zu werden. Wie es heißt, ist Real Madrid an Jupp Heynckes interessiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen