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Gesundheitsberufe im Aufbruch

Neue Profile im Gesundheits- und Pflegebereich tun not / Die Universitäten können Vorreiter bei der Befriedigung gesellschaftlicher Gesundheitsbedürfnisse sein  ■ StudentInnen der Medizin /Pflegepädagogik

Gesundheit ist unser höchstes Gut. Darin sind sich alle einig, denn Gesundheit ist nicht alles, doch ohne Gesundheit ist alles nichts. Im Sinne dieser Weisheit profilierte sich der Gesundheitsminister Horst Seehofer als Einäugiger unter den Blinden. Mit seinem Gesundheitsstrukturgesetz wurde zumindest die finanzielle Talfahrt der Kranken-, sorry, Gesundheitskassen gestoppt.

Im vorherrschend naturwissenschaftlich geprägten, wirtschaftlich ausgerichteten Gesundheitssystem dreht sich, wie gehabt, alles nur ums liebe Geld. Vergeblich warten wir jedoch auf Maßnahmen für einen umfassenden Gesundheitsschutz.

Über das Berufsbild des Schulmediziners hinaus

Vorreiterrolle für ein Umdenken und damit einen notwendigen Strukturwandel können die Universitäten sein, indem sie neue Studiengänge im Berufsfeld Gesundheit einrichten. Es besteht gesellschaftlicher Bedarf für akademisch gebildeten Gesundheitsexperten neben Schulmedizinern. Neue Studiengänge im Gesundheitswesen vertreten diese Auffassung, die sich nicht mehr mit den doktrinären und überalterten Ansichten zufriedengibt. Als neue Experten treten die Absolventen aus dem Schatten medizinischer Reparaturdienste und fordern ein eigenes Berufsprofil, um im multifunktionellen Team nicht länger als Handlanger, sondern in gleichberechtigter Form zu wirken.

Das neue Leitbild der genannten Studiengänge fußt auf der Wechselwirkung zwischen Mensch–Umwelt–Gesundheit und Pflege. Gesundheit ist mehr als das Freisein von Krankheit. Vielmehr ist sie gebunden an kollektive Erfahrung und individuelle Anstrengung. In den Mittelpunkt rückt dabei die Idee der Gesundheitsförderung „als ein Prozeß, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“ (Ottawa- Charta der WHO)

In den letzten zwei Jahren schossen in Ost und West rund 30 Studiengänge wie Pilze aus dem Boden. Das trägt dem Bedürfnis nach einer erweiterten Sichtweise von Medizin Rechnung. Und es ist zugleich Indiz für die Konzeptionslosigkeit auf gesundheitspolitischer Ebene. Gleichwohl wird deutlich, daß die Bildungspolitik die erweiterte Denkweise annimmt.

Eingriffsrecht bedroht universitäre Innovation

Beispiele sind ein neugestalteter Studiengang Pflegemanagement an der Alice-Salomon-Fachhochschule und der Studiengang Medizin/Pflegepädagogik der Humboldt-Universität, an dem auch LehrerInnen für Pflege- und Gesundheitsberufe zukunftsweisend ausgebildet werden. Die Änderungen des Hochschulgesetzes können den Höhenflug ganzheitlich ausgerichteter Denkweisen jedoch abrupt zur Bruchlandung werden lassen, noch ehe sie gesellschaftliche Auswirkungen zeigen. Zwar konnten die Krallen des Hochschulreformgeiers in Berlin durch studentischen Widerstand vorerst entschärft werden, doch kreist er weiter über unseren Köpfen. Ein Eingriffsrecht des Wissenschaftssenators in Studiengänge könnte ihn bei der derzeitigen Haushaltslage dazu verleiten, die universitären Innovationen im Bereich Gesundheit/Pflege nicht im erforderlichen Maße zu berücksichtigen. Lothar Epping und Monika Müller

Die AutorInnen organisierten die zweite bundesweite studentische Fachtagung für Gesundheits- und Pflegewissenschaften, die in Berlin stattfand. Die dritte Tagung – in Osnabrück – soll auch 1994 den Austausch der bestehenden Studiengänge fortführen.

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