: Trotzt holländischen Tomaten!
Billiganbieter aus Westeuropa wollen polnischen Markt erobern / Noch findet der Wettbewerb der EU hinter den Kulissen statt ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
„Der Einheitsapfel droht uns nicht“, meint Marzena K., stolze Besitzerin einer Warschauer Verkaufsbude, „bei uns gibt es noch fast alle Sorten.“ Wer einen polnischen Supermarkt besucht, findet zwar westimportiertes Bier, Joghurt und Eis, aber keine folienverpackten grünen Einheitsäpfel. Obst und Gemüse werden kaum importiert, die eigene Produktion findet bei Kleinlandwirten statt. Keine Normen und Subventionsauflagen zwingen, die Produktion zu vereinheitlichen.
„In Polen werden 80 Prozent der Felder von Privatbauern bestellt, 17 von Staatsgütern und drei von Genossenschaften“, erklärt Professor Henryk Czembor, Direktor des Instituts für Pflanzenanbau- und Akklimatisierung in Radzikow bei Warschau, „subventionierte Kredite für die Landwirtschaft gibt es bei uns nur für den Kauf von Saatgut und manchmal für Pflanzenschutzmittel. Für Investitionen und laufende Produktion gibt's überhaupt kein Geld vom Staat.“ Und selbst wo subventioniert werde, liege Polen weit unter dem westeuropäischen und amerikanischen Niveau. Und: „Gleichzeitig ist unser Markt so groß, daß man uns über den Außenhandel kaum etwas diktieren kann.“
Anders als in Westeuropa gibt es in Polen außer den häufig bankrotten Staatsgütern kaum wirklich große, industriell produzierende Güter. Privatbauern dagegen verfügen zumeist nur über geringe Flächen von fünf bis 20 Hektar und sind selten spezialisiert. Ein großer Teil der Produktion wird in der unmittelbaren Umgebung verkauft. Von 27 Millionen Tonnen Getreide, die Polen jährlich verbraucht, werden 25 bis 26 Millionen im Land selbst eingebracht. Trotzdem sind auch hier schon einzelne Sorten verschwunden. „Bisher war dies aber aufgrund modebestimmter Markttendenzen der Fall“, meint Bozena Nowicka, Sachbearbeiterin im polnischen Landwirtschaftsministerium.
Das dürfte sich bald ändern – nicht nur, weil die Konkurrenz aus der EG eine Spezialisierung der Landwirte erzwingen könnte. Professor Czembor, Experte für Getreidesaatgut, beobachtet bereits seit geraumer Zeit Versuche westlicher Exporteure, mit Dumpingpreisen und Ellbogenmethoden den polnischen Markt zu erobern.
„Das sind vor allem internationale Konzerne, die sich die besten Gegenden der Welt zur Saatgutproduktion aussuchen können. Wir dagegen können unser Saatgut nur hier entwickeln“, beklagt Czembor. „So drängen westliche Konzerne auf den Markt, die ergiebigeres Saatgut für Raps, Mais und besonders Zuckerrüben anbieten, und dabei sogar noch günstige Kreditkonditionen anbieten.“ Bezahlt werden müsse erst nach der Ernte. „Darauf kann sich kein polnischer Hersteller einlassen – bei Zinsen von 50 Prozent pro Jahr!“ Bei der Saatgutherstellung für Getreide liefert sich der Professor einen Zweikampf mit holländischen und deutschen Firmen. „Bei den Zuckerrüben werden sie uns rausdrücken“, prognostiziert er, „gegen das Saatgut aus Spanien und Italien haben wir keine große Chance.“ – Der Verbraucher wird von dem Kampf einstweilen noch nichts merken: Am Geschmack der Zuckerrüben verändert sich nichts, egal, ob ihr Saatgut aus Italien oder Polen stammt. Doch Händler berichten auch von anderen Versuchen, polnische Marktteile zu übernehmen. Marzena K.: „Kurz vor der letzten Tomatenernte tauchte plötzlich eine Riesenmenge holländischer Billig-Tomaten auf dem Markt auf. Die rechneten damit, daß unsere Bauern das nicht durchhalten, die Produktion einstellen, und sie dann den Markt übernehmen und die Preise wieder hochschrauben können.“
Gelingt so ein Manöver im großen Stil, wird die Einheitstomate Polens Sortenvielfalt ersetzen, die meistens nicht nur saftiger, sondern auch gesünder ausfällt. Pro Hektar setzen Polens Bauern viel weniger Chemie ein, als ihre westeuropäischen und amerikanischen Kollegen. Nicht unbedingt, weil die polnischen Bauern ein ausgeprägtes ökologisches Bewußtsein hätten, sondern einfach, weil sie weniger Geld haben. Allzuviel Anerkennung finden sie im Westen damit allerdings nicht.
„1992 wurde Polen von einer großen Menge billigen und schlechten Saatguts für Gras überschwemmt“, erzählt Professor Czembor, „das führte dazu, daß 80 Prozent der Saatgutfläche stillgelegt werden mußten. Als sich herausstellte, daß das Zeug nicht viel wert war, war es zu spät.“ Ähnliches geschah mit billigen Gefrierhühnchen aus US-Armeereserven, die zahlreiche polnische Geflügelfarmen in den Bankrott trieben. Czembor: „Auf dem europäischen Markt werden wir uns wegen der dortigen Überproduktion kaum durchsetzen können, aber wir müssen aufpassen, daß EG-Importe nicht auch noch unsere eigene Produktion verdrängen.“
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