: Der nächste ukrainisch-russische Streit
Am Sonntag wählt die zur Ukraine gehörende, aber mehrheitlich von Russen bewohnte Krim-Halbinsel einen Präsidenten / Die meisten Kandidaten wollen zurück nach Rußland ■ Von Klaus-Helge Donath
Moskau (taz) – Zum erstenmal in ihrer Geschichte wählt die Schwarzmeer-Halbinsel Krim am Sonntag einen eigenen Präsidenten. Die Krim ist einer der zahlreichen Streitpunkte, die das Verhältnis zwischen der Ukraine und Rußland seit dem Zerfall der UdSSR ernstlich belasten. Nun wirbt nur einer der sechs Präsidentschaftskandidaten für einen Verbleib der mittlerweile autonomen Krimrepublik im ukrainischen Staatsverband. Die übrigen Bewerber befürworten entweder eine sofortige Rückkehr nach Rußland oder zumindest eine Wirtschaftsunion mit dem ökonomisch attraktiveren Moskau.
Die Wahlen werden die angespannten Beziehungen zwischen Kiew und Moskau noch um einige Grade verschärfen. Die Emotionen über den Status der Krim schlagen auf beiden Seiten hoch. Die miserable wirtschaftliche Situation in der Ukraine macht die Wahlen heute unumgänglich; ein Anschluß an Rußland erscheint vielen als ein Ausweg aus der ökonomischen Krise. Daher stehen die Erfolgsaussichten Nikolai Bagrows, der für eine Beibehaltung des Status quo eintritt, schlecht. Bagrow ist Vorsitzender des Parlaments der Krim. Seit nunmehr zwei Jahren stellt er de facto den „Regierungschef“. Daher schreibt man ihm die zunehmende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zu. Inoffizielle Umfragen geben ihm nur knapp ein Fünftel der Stimmen.
Es sieht also so aus, als ob die rußlandfreundlichen Kandidaten das Rennen machen würden. Vertreter der extremsten Richtung ist der Vorsitzende der Russischen Krimpartei, Sergej Schuwainikow. Ginge es nach ihm, würde die Krim sich per Erlaß einfach Rußland anschließen. Schuwainikow rühmt sich guter Kontakte zur Liberaldemokratischen Partei des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski in Moskau.
Bereits im Mai 1992 hatte das Inselparlament seine Unabhängigkeit von Kiew deklariert, allerdings ohne weiterreichende Folgen. Zu jenem Zeitpunkt war das offizielle Moskau bemüht, nicht wieder in den Geruch imperialistischer Machtgelüste zu gelangen. Einen Monat zuvor hatte Kiew eine Kompromißlösung auf den Weg gebracht, indem es die Krim zu einem „autonomen Teil der Ukraine“ erhob. Die mitgelieferte Verfassung sah das Amt eines Präsidenten vor. Den moderaten Kräften gelang es damals, Wahlen hinauszuzögern. Sie befürchteten, ein Urnengang würde die nationalistischen Ressentiments erheblich verschärfen.
Aber jetzt kommt es doch zu Wahlen, und im Vergleich zur Ukraine, die seit der Unabhängigkeit keinen Schritt in Richtung Reformen unternommen hat, ist Rußland heute ein prosperierendes Land. „Mit Rußland haben wir eine richtige Währung und Öl“, meinte ein Bürger stellvertretend für die meisten dort lebenden Russen. Von den zweieinhalb Millionen Bürgern sind allein 70 Prozent russischer Nationalität. Etwa ein Drittel von ihnen gehörte der alten kommunistischen Nomenklatura an. Sie verbringen in dem ehemals privilegierten Erholungsparadies ihren Lebensabend. Daß sie, die immer auf der Sonnenseite gestanden haben, besonders empfindlich auf die angespannte Wirtschaftslage reagieren, läßt sich leicht nachvollziehen.
Nikolai Gratschow kandidiert für die Kommunistische Partei der Krim. Sein Versprechen, die Krim in einen sozialistischen Staat zu verwandeln, der allen Wohlfahrt garantiert, dürfte bei den privilegierten Pensionären auf offene Ohren stoßen. Gemäßigter präsentiert sich Jurij Meschkow: Er plädiert einerseits für eine gänzlich unabhängige Krim, favorisiert aber gleichzeitig ein Referendum über eine Vereinigung mit Rußland. Auf jeden Fall strebt er einen „einheitlichen Wirtschaftsraum mit Rußland“ an.
Sollte einer der rußlandfreundlichen Kandidaten gewinnen, müßte der ukrainische Präsident Krawtschuk, dem die Nationalisten im Nacken sitzen, sofort reagieren. Sollte Kiew nach einem Abspaltungsbeschluß im Gegenzug versuchen, seinen Zugriff zu verschärfen, wird man in Moskau vermutlich bereit sein, „die Interessen der Russen, die im nahen Ausland leben“, zu verteidigen. Was immer das heißen mag.
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