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Der Künstler und sein Sockel

■ „Am Beispiel Plastik“ – Eine Skulpturenausstellung im Haus am Waldsee

„Modell für eine Skulptur“ nannte Georg Baselitz die Holzfigur, die 1980 auf der Biennale eine Abkehr von den meßbaren Größen für den handwerklichen Wert von Skulpturen dokumentierte. Mit der Säge kürzte er die Beine aus dem Holzklotz, bemalte diesen dann mit schlichten, klaren Farben und brachte ihn schließlich in eine spannungsreich gehaltene Balance. Damals formulierte der Bildhauer: „Ich habe da ziemlich alles gemacht, was man als professioneller Bildhauer eigentlich machen darf. Skulpturale Probleme im engsten Sinne haben mich beispielsweise überhaupt nicht interessiert. Mit Fragen etwa des Sockels und seinem Verhältnis zur Plastik, mit rhythmischen Spannungen zwischen den Teilformen und so weiter wollte ich nichts zu tun haben; ebensowenig mit der Beziehung zwischen Volumen und Raum. Meine Plastik sehe ich nicht situativ, sie kann vielmehr stehen, wo sie eigentlich will.“

Drei Jahre später wurde Baselitz, der eigentlich Georg Kern heißt, als Fachmann für skulpturale Probleme Bildhauerprofessor an der HdK. Seine Worte zieren ein Hinweiskärtchen zur Skulpturenausstellung „Am Beispiel Plastik“ im Haus am Waldsee. Ein quietschgelbes, überdimensionales Lindenholzbein von Baselitz prangt auf kahlem Sperrholzsockel. Wenige Tage vor der Ausstellungseröffnung ging das Monsterbein in Sammlerbesitz über. Neben einem roh behauenen Holzkopf aus Rotbuche dann die Perle der Ausstellung: eine unauffällige und perfekt reduzierte Terrakottaplastik, an der so ziemlich alles stimmt.

Die von Baselitz zitierten Wendungen, wie Beziehung von Volumen und Raum, auch die Spannung innerhalb der Form, sind mit einfachen Mitteln perfektioniert. Die Tonplastik – entliehen aus dem Museum für Völkerkunde in München und datiert zwischen 12. und 16. Jahrhundert – macht es in der Gegenüberstellung den Baselitzschen Holzwerken schwer: Was absichtsvoll die von Picasso, Derain und anderen Klassikern begründete Tradition der Moderne aufgreifen soll, nämlich das Aufgreifen der Stilmittel sogenannter primitiver Kunst, deckt auch durch Understatement den prätentiösen Anspruch auf, den basics des Kunstmachens wieder auf der Spur zu sein. Die Rauhbeine kommen jedoch in der Katalogabbildung viel besser als in der Ausstellung zur Geltung: Vor mediterranen Kacheln auf Schloß Derneburg leuchten sie auf und brechen das edle Atelierlicht mit ihrer kantigen Oberfläche auf. Das prahlerische „Ach was: Aufstellungsort. Ach was: Sockel“ – es stimmt nicht.

Das Konzept der Zehlendorfer Ausstellungsmacher, aktuelle Skulpturen von Heinz Brehloh, Hawoli, Tim Scott, Thomas Virnich, Franz Bernhard, Baselitz und Wilhelm Mundt mit klassischen Beispielen aus der Vergangenheit zu konfrontierten, gibt wertvolle Hinweise auf künstlerische Inspirationsquellen der ausgestellten Bildhauer. In einem der exklusiven Ausstellungsräume im Haus am Waldsee zitiert Mic Enneper das „Eismeer oder die gestrandete Hoffnung“ von Caspar David Friedrich. Schwarze Spanplatten türmen sich empor und nehmen den ganzen Raum ein. Die gebrochenen und brutal ineinandergeschobenen Eisflächen des romantischen Gemäldes finden wenig Entsprechung in der Stellage aus Spanholzplatten, die demgegenüber dekorativ hindrapiert wirkt.

Ein Leporello mit Fotodokumenten verweist auf den Clou des Werks: zuvor nämlich, 1991 in der Kunsthalle Köln, waren die Spanplatten zu bibliotheksähnlichen Regalgängen aufgebaut. Auch Olaf Metzel hatte sich allerdings schon einmal als C.D. Friedrich versucht: mit einem zerlegten Basketballfeld. Einen neuen Aggregatzustand wird die Plastik erhalten, wenn Enneper sie zum dritten Ausstellungsort transportieren läßt: Vor der Mannheimer Kunsthalle werden die Platten dann erneut aufgeschichtet, und das Lagerfeuer wird schließlich hochtrabend „Autodafé“ heißen. So nannten Spaniens Inquisitoren die Höllenfeuer, mit denen sie Ketzer und Hexen verbrannten.

Eine kleine Ecke ist für Robert Schads Eisenwerkerei reserviert. Leider ist für die raumgreifende „Tunnelgestaltung“ selbst die Zehlendorfer Villa zu klein. Riesige Eisenflechten spannten sich im Stuttgarter Landtag um die hohen Wände. Von der effektvoll mit moderner Choreographie verknüpften Performance mit Metallungetümen Schads zeugen ausgestellte Fotos aus dem Hebbel Theater. Von der Nähe aus betrachtet, befremdet an den kleineren Stahlformen das sonderliche Materialempfinden. Dem in extremer Hitze geknickten Vierkantstahl sind flextechnisch falsche Grate beigebracht worden, die sich nicht aus der Form erschließen.

Die Wegweiser Eduardo Chillida, Richard Serra und Guiseppe Spaguido sind für Robert Schad noch weit entfernt: Sie haben bereits gezeigt, wie massive Metallskulpturen die reine Präsenz betonen und zur Darstellung erheben können. Klassisch sind mittlerweile die an Wände gelehnten und durch das Eigengewicht gehaltenen Bleiplatten, die in der Masse ineinandersinkende Metallklumpen in Omnibusgröße und die architektonischen Riesenapparate, die abstrakte Ideen von Raum und ein Gefühl für Statik sinnlich vermitteln.

Listiges Aufspüren griffiger Themen und lakonischen Humor zeigt Wilhelm Mundt, der seltsame „Trashstone“ geschaffen hat. Die ungestümen Plastikklumpen geben nicht vor, etwas Erhabenes zu sein; sie bieten sich vornehmlich über das Material an. In Plastik eingeschweißter Ateliertrash im wahrsten Sinne des Wortes. Der Galeriegänger erahnt in den Kunststoffhüllen verborgen ein paar Eimer und Prototypen der daneben gezeigten Industrieabgüsse. Materie, so spricht es möglicherweise aus dem Plastik, verschwindet nicht einfach so. Müll bleibt. Fernando Offermann

Bis zum 30.1. im Haus am Waldsee Di.–So. 10–18 Uhr, Argentinische Allee 30, Zehlendorf.

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