piwik no script img

Schubidu in der Menopause

■ Die neue Musical-Inszenierung auf der Kreuzberger Kama-Bühne bestätigt: Kama muß ins Schloßparktheater!

Es gibt Momente im Theater, in denen man sich ernsthaft überlegt zu gehen. Im Kama war es dieses Mal bereits vor der Vorstellung soweit. Eng war es in der Premiere von „Mixed Pickles“, und es wurde immer enger; klaustrophobische Gefühle umschlangen das Herz, kleine Schweißdrüsen öffneten sich. Wie Heringe in der Dose saßen die ZuschauerInnen auf zusammengeschraubten Stühlen. Mühsam erhaschte man sich während der Vorstellung einen Blick über den Dosenrand, respektive über die Köpfe der Vorderen, um nicht ausschließlich einem Musical-Hörspiel beizuwohnen.

Ergo: Nichts wünsche ich diesem „ersten Berliner musicalischen Privattheater“ ehrlicher und mehr, als daß es den Pachtvertrag für das Schloßparktheater bekommt! Schon allein des Platzes wegen. Die erste Hürde ist bereits genommen – in der Auswahl ist die Gruppe um Katja Nottke und Claudio Maniscalco in der zweiten Runde. Also: toi, toi, toi. Verdient hätten sie's angesichts der Perfektion des „midlife musicals“ allemal.

Unbestritten ist mit „Mixed Pickles“ eine routiniert getimte Aufführung mit perfekt sitzenden Pointen und Songs zu sehen. Die vier Schauspielerinnen mimen die optische und phonetische Version der „Golden Girls“ (teilweise sehr zum Ärger der Fans der echten Golden Girls). Verstärkung erhalten sie von vier Handpuppen, die eindeutig der Muppet Show entlehnt sind. In der Zweck-WG (zur Erhaltung ausschweifenden Lebensstils in der Postehe-Ära) der von drohender Menopause in Verbindung mit erhöhten Liebesbedürfnissen geplagten Damen ohne zugehörige Herren sorgt eine Gehässigkeit nach der anderen für Lacher (seitens der ZuschauerInnen).

Zum Knutschen ist Katja Nottke als Martha, die schrullige Alte mit einer Stimme, die Pumuckel zur Ehre gereicht hätte. Mit schlurfenden Wuselschritten und einem unschuldig-debilen Grinsen um die Lippen, nähert sie sich in jeder „unbeobachteten“ Sekunde dem Fernseher, um Privatpornos zu verkosten. Die Midlifekrisen ihrer WG-Genossinnen sind für sie alberner Kinderkram. Klar, daß Martha beim Pornogenuß immer von ihrer vornehm-gschamigen Tochter Audrey (Elke Rieckhoff) überrascht werden muß.

Christiane Maybach gibt die männerversessene French, Margot Nagel das backende und tierliebende Naivchen der Clique. Alle zusammen sind sie einstige Broadway-Größen (will heißen: drittklassige Hupfdohlen), noch immer auf der vergeblichen Suche nach dem Comeback und außerdem auf der Flucht vor einem herannahenden Hurrikan. Dieser hinterläßt ein Loch im Dach und zwingt das Quartett zu dringenden Geldbeschaffungsmaßnahmen. Ein Untermieter, jung und knackig, ist nach einigen Fehlschlägen die Lösung des arbeitsmarktwirtschaftlichen Alteisens. Das Happy-End: nein, kein Mann, sondern das Comeback auf dem Broadway. Ein wahrer Musical-Plot.

Genauso ist auch die Inszenierung: Blümchenkleid, Glitzer- und Federfummel allüberall, viel Schallala und Schubidu, ein Händchenwedeln rechts und links und oben und unten. Alles streng nach dem auch gesungenen Motto „Always look on the bright side of life“. Und so gehen die am Rande dann aber leider doch noch gestreiften Probleme dieser Welt am Ende auf Watte und im Glitzerrausch unter. „Fuck the Army“ steht auf dem Rücken der im Flowerpower-Outfit vortanzenden Damen. Und sie stimmen an: „Let the sunshine in“, da der Puls der Jetztzeit „Hair“ kokett den Bart abschneidet. Gewiß, Nostalgie hat seinen Reiz, Kitsch ebenso; die Perfektion der ganzen Veranstaltung ist zu rühmen und auch die Vielseitigkeit. Im Musical aber nebenbei noch ein bißchen Gesellschaftskritik zu betreiben funktioniert allerdings nicht. Petra Brändle

„Mixed Pickles“ von Gregor Köhne, Musik: Kilian Piramovsky, Thomas Großmann, Regie: Katja Nottke. Mit Oliver Feld, Christiane Maybach, Margot Nagel, Katja Nottke, Elke Reickhoff. Di.–Sa. 20 Uhr, So. 18 Uhr, Kama, Schwiebusser/ Ecke Friesenstraße, Kreuzberg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen