■ Ein Prototyp der politischen S-Klasse als Bundespräsident: Muß es denn wirklich Herzog sein?
Schon vor einer Woche wartete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in Fraktur auf der ersten Seite mit der schlichten Prophezeiung auf: „Herzog wird es sein“. Nachdem das Zentralorgan des deutschen Konservativismus über Monate ebenso leidenschaftlich wie letztlich erfolglos für Steffen Heitmann getrommelt hatte, mußte Friedrich-Karl Fromme, der Rechtsausleger der Redaktion, sich mit Schmerzen dem Realitätsprinzip unterwerfen. Der querulatorische Nationalkonservative aus Thüringen war bei aller Liebe nicht durchsetzbar. Am Samstag ist Roman Herzog nun förmlich zum candidatus gekürt geworden, der CDU-Bundesvorstand nominierte ihn mit 34 zu einer Stimme bei einer Enthaltung. Aber trotz dieser nahezu realsozialistischen Mehrheit bleibt die Frage: Muß es Herzog wirklich werden?
In jedem Fall würde es Herzog besser machen als Heitmann, wozu wenig gehört. Könnte er aber – und darauf kommt es bei diesem Amt mehr als bei allen anderen Staatsämtern an – die Gesellschaft angemessen vertreten? Würde er es schaffen, wie es Richard von Weizsäcker gelungen ist, eine große Mehrheit des Wahlvolkes zu repräsentieren? Schauen wir ihn uns einmal an, schließlich funktioniert Repräsentation nach den Gesetzen der Dialektik von Wesen und Erscheinung. Roman Herzog ist in jeder Hinsicht ein Mann, er trägt das Übergewicht der Wirtschaftswunder-Generation mit sich herum. Wagen wir einen Blick in sein großflächiges Gesicht, so fallen die nach unten gezogenen Mundwinkel auf, die, kombiniert mit der in Falten gelegten Stirn, für eine Ausstrahlung sorgen, die von einer Mischung aus selbstgefälliger Hochfahrenheit und tendenziellem Beleidigtsein dominiert sind – mithin jenem Zug, der zunehmend die Physiognomie der so unverschämt gering geschätzten Politiker prägt. Hören wir dem im niederbayerischen Landshut geborenen Kandidaten zu, so schallt einem jenes mit dem Hochdeutschen verwandte Idiom ins Ohr, das Franz Josef Strauß auszeichnete. Sein Akzent weist Herzog schon beim ersten Satz als Südstaatler aus, jener Seilschaft, die in Gestalt von Schäuble, Scharping, Kohl, Kinkel und anderen mehr die höchsten Staats- und Parteiämter inzwischen zu Geiseln genommen hat.
Roman Herzog repräsentiert nicht die Gesellschaft des neuen Deutschland, sondern ist ein Prototyp der politischen S-Klasse der Alt-BRD. Wer dafür sorgen will, daß die Politikermüdigkeit weiter zunimmt und in die Demokratiemüdigkeit umschlägt, für den ist Roman Herzog der richtige Mann. Für alle anderen ist er ein Auslaufmodell – und sollte es deshalb nicht sein. Michael Sontheimer
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