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■ Mit der Reisebranche auf du und duSonnige Schnäppchen

Berlin (taz) – Alle Welt spricht von der Rezession. Nur die Hobbymärkte und die Reisebranche nicht. Dort boomt das Geschäft. Werkeln und reisen gegen die Krisenstimmung? Für das vergangene Jahr lag der Umsatz der Reisebranche jedenfalls acht Prozent höher als im Vorjahr. Und nie zuvor zog es so viele Menschen an ferne Gestade außerhalb Europas. In Deutschland allein waren es 20 Prozent mehr Fernreisende als im Vorjahr. Offensichtlich ist nicht nur des Deutschen Devise: weg vom Krisengedöns, so weit wie nur möglich.

Die World Tourism Organisation (WTO) in Madrid zählte 1993 rund 500 Millionen internationale Reisende, 3,8 Millionen mehr als 1992. Den größten Anstieg des Touristenstroms verzeichneten Südostasien und der pazifische Raum: 68,5 Millionen Urlauber (plus zwölf Prozent) ließen dort 52,5 Milliarden Dollar (plus 15 Prozent).

Mit Bahn und Bus kommt da nun mal niemand hin. So stehen den steigenden Zahlen beim Flugtourismus Rückgänge bei Bus- und Bahnreisen gegenüber. Von wegen Selbstbeschränkung der sanften Touristen: Wenn schon eine touristische Gegenwelt, denn schon Bali. Dafür tragen die Herren dann ihre Anzüge eben noch ein paar Monate länger – im Einzelhandel haben sich die Verbraucher Zurückhaltung auferlegt.

Doch der Reisemarkt expandiert ungebrochen, nach außen in die Ferne, nach innen auf die Ökoschiene. Und so wächst in der Reisebranche zusammen, was nicht zusammengehört, ungebremste Mobilität und Ökosensibilität. Was das postmoderne Reiseunternehmen am Ferntourismus verdient, investiert es im ökobewegten Europa schon mal für die weniger lukrative, aber schicke Radtour auf Mallorca. Mit diesem neuen Marktsegment kann es dann seiner ökologisch zunehmend sensiblen Klientel immer noch etwas bieten.

Doch solange die Pauschalreise ins thailändische Pattaya aufgrund der weltweiten Konkurrenz der Billig-Reiseländer nicht viel teurer ist als die Ökoreise mit der Bahn nach Spanien, wird der Verbraucher nicht lange zögern: Warum denn in der Nähe bleiben, wenn die Ferne so billig ist. Und auch der Schaden für die Umwelt kommt laut Reiseprospekt „dank neuster Maschinen“ schadstoffarm geläutert daher. In Zeiten bewölkter Zukunftsperspektiven verzichtet man/ frau für sonnige Lichtblicke zum Schnäppchenpreis schon mal aufs richtige Bewußtsein – und die neue Garderobe, die eh nicht mehr in den Schrank paßt. Zumal das reale Elend vieler Fernreiseziele das eigene Elend doch sehr relativiert. Edith Kresta

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