: Aus heiteren Wetters Land
■ Busonis filigraner „Arlecchino“ und Puccinis Vollsaftschinken „Gianni Schicchi“: Zwei Einakteropern im Theater am Goetheplatz
Kräftig schwingt da einer den breiten Pinsel, dem Farbenrausch verfallen. Da noch einen kräftigen Spritzer Rot, dort noch ein zart verwaschenes Blau und da noch einen Klacks Schwarz. Ein Blick nach hinten, wo das Publikum lauert, und schon zaubert der Pinsel noch ein blasses Rosa auf die Leinwand, auf daß die Träne quölle, und dann draufgesetzt ein Strahl Gelborange, so schön und laut, daß er mitten ins Herz geht. Wohliges Aufstöhnen hinter dem Maestro, welcher befriedigt die Palette weglegt und dem sensiblen Kritiker mit neckischem Augenzwinkern zuflüstert: Komponieren muß man können! (Soviel zu Puccini.)
Szenenwechsel: Wir befinden uns wieder in einem Atelier. Vor uns ein anderer Meister. Er arbeitet nicht in Öl. Mit vorsichtigem, aber durchaus beherztem Tuschstrich konstruiert er akribisch und leise lächelnd klare, gezirkelte Strukturen. Mit Farbe zieht er einiges nach, experimentiert. Des Kritikers Auge will sich schon abwenden, mag sich denn aber doch nicht trennen von dem reich gegliederten heiter verspielten Blatt. (Da haben Sie auch schon den halben Busoni.)
Die so unterschiedlichen Erzeugnisse zweier toskanischer Komponisten aus dem ersten Fünftel des Jahrhunderts stellte am Sonntag abend das Theater am Goetheplatz aus. Zuerst Ferrucio Busonis filigranes Meisterwerk „Arlecchino“, danach Giacomo Puccinis Vollsaftschinken „Gianni Schicchi“. Inszeniert und mit Bühnenbild versehen hat beide Einakter Ctibor Turba.
Beide Opern spielen erkennbar in „heiteren Wetters Land“. Ein paar schöne Papierhäuschen mit zebrastreifigem Rundhorizont sorgen für liebliche Stimmung. Mit Licht lassen sich, wo nötig, schnell Stimmungswechsel erzeugen. Zwischen den Häuschen aufwendig und vielleicht etwas zu schön kostümiert das Personal beider Werke.
Befruchtung der Oper durch die Stilmittel der Pantomime, war das zuvor öffentlich verkündete Konzept der Regie. Zu sehen war eine Inszenierung im Geiste der commedia dell' arte. Für beide Werke schon angemessen, haben doch beide ihre Wurzeln im italienischen Volkstheater.
Trotzdem ging die Rechnung nicht ganz auf. Busoni macht kein Volkstheater. Er benutzt deren Formen und Personal, um im vom 1. Weltkrieg gezeichneten Europa, in dem sich seine beiden Vaterländer Italien und Deutschland bekriegen, den Triumph Arlecchinos, der intelligenten italienischen Variante unseres deutschen Hanswurstes, über die geordnete Welt des bürgerlichen Spießers zu feiern. Nichts ist ihm heilig. Ehe, Vaterland und soziale Hierarchien wirbelt er flott zu seinem Nutzen durcheinander.
Auf der Bühne sehen wir leider nur die Oberfläche der Geschichte, ihre tieferen Schichten wurden dagegen - was in der Oper nicht immer das Schlechteste ist - im Orchestergraben erarbeitet. Unter Ira Levins Stabführung erklingen Busonis trockener, verspielter Witz, seine exakt kalkulierten poltrigen Einschübe und seine mitunter ironische Reflexionen über die Oper des 19. Jahrhunderts mit klanglicher Präzision und rhythmischer Akkuratesse.
Das Sängerensemble, den Einfällen der Regie treulich folgend, singt ebenso konzentriert wie klangschön, wobei es Mihai Zamfir besonders eindrucksvoll gelingt, tenorales Belcanto mit parodistischem Gift zu vermischen. So wird das szenische Defizit noch rechtzeitig zum traumhaften Ensemblefinale im 4. Satze ausgeglichen.
Bei Puccinis wunderbarer Burleske um einen brillanten Erbschaftsbetrüger bleiben uns Bühnenbild und Inszenierungsstil im wesentlichen erhalten. Das bekommt diesem Werke gut, allerdings trägt Puccini so dick auf, daß man es auch bei konzertanter Aufführung als einen saukomischen Schmachtfetzen erleben kann.
Am Pulte diesmal Istvan Denes, der mit sicherem Griff unseren norddeutschen Orchestermusikern toskanische Klangsinnlichkeit entlockt, unterstützt durch ein spielfreudiges, homogenes Sängerensemble. Herausragend: Eva Gilhofer als bösartige Base, Nikolai Miassojedov als freundlich-durchtriebener Schicchi und dessen Tochter (Birgit Binnewies), deren optische und akustische Schönheit Ki-Chun Parks metallischen Tenor eindrucksvoll entflammen darf. Auf diese Weise war ein vergnüglicher Ausgang des Abends garantiert.
Heftiger Beifall für die Musiker, auch ein kräftiges Bravo für die szenisch Verantwortlichen, dankte für den Abend. Der Rezensent allerdings war etwas geknickt, daß nun ausgerechnet Puccini dem Arlecchino die Schau gestohlen hat. Vielleicht gibt's ja als nächste Kopplung beider Komponisten Oper „Turandot“.Mario Nitsche
nächste Aufführung: heute 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz
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