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„Erst wenn es brutal wird, passiert was“

■ In Halle erfand ein Mädchen einen Skinhead-Überfall / Mitschüler zeigen Verständnis

Der „schreckliche Fall von Halle“ sorgte in der vergangenen Woche für Aufregung. Eine 17jährige Schülerin gab an, rechte Skins hätten sie überfallen und ihr ein Hakenkreuz in die Wange geritzt. Mittlerweile geht die Staatsanwaltschaft davon aus, daß die junge Frau sich das NS-Symbol selbst beigebracht hat; ein Geständnis steht allerdings noch aus. Vergangenen Donnerstag wußte noch niemand, daß die Tat erfunden war. Spontan versammelten sich 15.000 zumeist junge Menschen auf dem Hallenser Marktplatz zu einer Demonstration gegen Rechts. Stefan G., 16 Jahre alt, ist einer der Mitorganisatoren. Weil auch er schon von Rechten überfallen wurde, hat der Landesschülervertreter Angst, seinen vollständigen Namen zu nennen.

taz: Das Mädchen hat sich selbst verletzt. Wie steht ihr zur Demo, nachdem euch sozusagen der Demo-Anlaß im nachhinein abhanden gekommen ist?

Stefan: Wir Schüler sind sehr verunsichert. Die Demo ist ja durch eine Lüge zustande gekommen. Andererseits bleibt ein guter Eindruck: Noch nie sind so viele Menschen gegen Rechts auf die Straße gegangen. Es wären ja noch viel mehr gewesen, wenn wirklich alle Schüler für diese Zeit ihre Unterrichtsbefreiung bekommen hätten. Aber einige Schulleiter haben ihre Schüler ja regelrecht daran gehindert, zur Demo zu gehen.

Wie reagieren die rechtsgerichteten Schüler an deinem Gymnasium auf diese „Fehlanzeige“?

Die feiern einen kleinen Sieg und sagen: „Hat mal wieder 'ne linke Zecke dumm rumgelogen.“ Aber als die Polizei die Wohnungen und Treffpunkte durchsucht hat, haben sie eine ganze Menge brauner Materialien gefunden. Diese Polizeiaktion hätte es aber nicht gegeben, wenn Elke sich das Hakenkreuz nicht eingeritzt hätte.

Ihr seid nicht sauer auf Elke?

Demnächst wird es wohl schwerer sein, Leute für entsprechende Demos oder Aktionen zu mobilisieren. Aber sauer sind wir nicht. Irgendwo kann ich sie auch verstehen: vor zwei Jahren wacht sie morgens auf und ist plötzlich gelähmt. Das ist doch verständlich, daß man da psychische Probleme bekommt. Und wenn ich mir die rechte Szene in Halle anschaue, dann ist schon sehr viel Schlimmeres vorgekommen als das, was Elke vorgetäuscht hat. Und da gab es überhaupt keine Demo.

Was ist vorgekommen?

In Halle-Neustadt, wo die Rechten zu Hause sind, wirst du mit der Baseballkeule zusammengeschlagen, wenn du nur etwas längere Haare hast. Eine Freundin von mir wurde von Rechten nach der Disco betatscht, beinahe vergewaltigt. Sie hatten ihr bereits die Kleider vom Leib gerissen, bevor sie sich befreien konnte. Zwei Straßenecken weiter stand ein Polizeiauto. Die Beamten gaben zu, alles gesehen zu haben, und fuhren das Mädchen in die Klinik. Diagnose: Verdacht auf Gehirnblutung. Ich wurde vor der Disco zusammengeprügelt. Etwa 200 Leute haben das gesehen. Niemand stellte sich als Zeuge zur Verfügung. Erst wenn es geschmacklos und brutal wird, passiert was. Wie bei dem Hakenkreuz.

Die Demo ist eine einmalige Willensbekundung. Habt ihr denn in eurer Anti-Gewalt-Initiative jetzt auch größeren Zulauf?

Leider nicht. Kontinuierlich wollen sich wenige Leute damit auseinandersetzen. Lichterketten und Demos zeigen zwar was, sind aber doch nur Eintagsaktionen. Interview: Annette Rogalla

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