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Die Gebrüder Grimm

Martin Luther King hätte er vielleicht gefallen – aber würden African Africans den Film „Menace II Society“ mögen? Die Projektionslinien über dem Atlantik kreuzen sich nicht  ■ Von Mariam Niroumand

„Growing Up Scared“ hieß der Titel, mit dem Newsweek warnend ins Jahr des Herrn 1994 einstieg. Man hatte förmlich Tränen an den Fingern, wenn da von einem Projekt in Brooklyn gesagt und gesungen wurde, welches „Toys for Guns“ heißt, in dem die bewaffnete Ghettojugend ihr schweres Geschütz gegen Ninja-Turtles und Teddies eintauschen kann (und es angeblich auch schon in größerem Stil getan hat). „Black to the future“ – ein Weg in die Regression?

Die Geschwister Hughes, 21jährige, ziemlich mopsige Burschen aus Detroit, stehen mit ihrem Debütfilm „Menace II Society“ schon mit einem Fuß bei Newsweek in der Tür. Auch hier soll eine Lektion erteilt, erzogen, Zukunft in Familie gebaut werden. Gleichzeitig hiphopen sie – von der eigenen Pädagogik leicht angewidert – durch fotogen vermintes Gelände: wie gehabt Watts, Los Angeles, langsam heranrauschende Cadillacs, aus denen großmäulig gefeuert wird, nur noch ab und an hört man Polizeisirenen.

Ein junger Mensch mit dem unauffälligen Namen Caine, dessen Vater bei einem Deal ermordet wurde und dessen Mutter an einer Überdosis H starb, lebt bei den gottesfürchtigen Großeltern, die wir schon aus „Jungle Fever“ kennen (als Reverend Vater von Wesley Snipes). Sometimes I feel like a motherless child: die Erwachsenengeneration seltsam absent, sollte Caine eigentlich seines Bruders O- Dogs Hüter sein. Der aber schießt zu Anfang des Films dem koreanischen Deli-Besitzer und anschließend dessen Ehefrau das Hirn aus dem Kopf (der Mann hatte noch gesagt: „Deine Mutter tut mir leid“).

Welche Society?

Das orgienhafte, Peckinpah-inspirierte der Gewaltszenen, die auf Video aufgezeichnet anschließend der House-Party vorgeführt werden, macht nicht nur einen arg filmschülerhaften Eindruck, sondern nimmt, erstaunlicherweise, „Menace II Society“ die Brisanz eines Spike-Lee-Films, der gleich zu Anfang auf Verkehrsschildern verdeutlicht, daß wir eine Fahrstunde im Dschungel nehmen werden, mit allerdings viel ungewisserem Ausgang.

Welche Society ist gemeint? Ein im Gefängnis geläuterter, ehemals dealender Freund seines toten Vaters rät Caine: „Geh nach Kansas, geh nach Atlanta! Wenn du im Ghetto bleibst, bist du ein toter Mann“. Solchermaßen die Fluchtrouten nachzuzeichnen, die früher aus der Südstaatensklaverei in den Nordwesten führten, mit Freundin Ronnie und ihrem Sohn, läßt unterderhand nur noch eine Perspektive für Brother Caine offen: Rette den eigenen Arsch plus neuer Familie (hey: nix gegen Familie, aber eine Kinderfamilie? Jackson Five oder was?) und fuck the neighbors. Eine Mittelklassen-Perspektive, ab ins (weiße?) Suburbia. Wo Ice- Cube war, soll Kriss-Kross werden.

Schön und gut, möchte man meinen, besser rosa als tot, aber waren alle diese Dinge nicht schon mal sehr viel klarer gesagt worden? Ich meine „Hangin' with the homeboys“, „Posse“ oder „Do the right thing“, oder wenigstens „Boyz'n'the Hood?“. Oder auch schlechter, ich meine „New Jack City“ oder von mir aus auch „Juice“?

Nein, da ist was umgekippt. Aus den Comic-Strips von Spike Lee wird hier plötzlich ein De-Palma- Gemetzel (die Gebrüder Hughes geben freiwillig zu, von „Scarface“ beeinflußt worden zu sein). Aus dem Traum von der Black Nation, die von Brooklyn bis Burkina Faso reicht, der bis dato immer noch im Hintergrund aufschien als die mögliche Kehrseite des Ghettos, wird jetzt ein hübscher weißer Gartenzaun ...

Mich hatte immer schon mal interessiert, wie das eigentlich in Burkina Faso gesehen wird, wie echte Afrikaner das finden, von African Americans als Urahnen und Identitätspool benutzt zu werden. Die Frau Ronnie, die aus Caine einen guten Jungen macht, ist „afrocentric“ (die Frisur macht's), während die kaputte Heulsuse, die ihn schließlich zugrunde richtet, eben „American“ ist.

No woman, no cry

An einigen Lehmhäusern in San Pedro, Côte d'Ivoire, wo Schüler und Studenten in Zwangswohngemeinschaften von 15 bis 20 Mann hoch hausen, hängt an den Wänden schon mal ein Magic Johnson, ein Michael Jackson oder gar ein Schwarzenegger, aber kein Ice-T. Kool and the Gang waren letztes Jahr da, aber keiner hat ihr Poster aufgehängt. Warum nicht? Jean- Charles (der seinerseits ungeheure Ähnlichkeit mit Malcolm X hat) findet Rap zu aggressiv; man liebt hier die versöhnliche Melodie, afrikanische Lieder über das Tanzen (von der Zukunft ist vorsichtshalber nicht die Rede), auch gern Michael Jackson („it don't matter if you're black or white“) oder eben, oft und gern, Bob Marley: „Let's get together and feel alright.“ Also, das dachte ich mir doch, die finden das albern, wenn schwarze Juppies in New York afrikanisch kochen und ihre Kinder Oadulu nennen, und sie hier in San Pedro können nicht mal den albernen Nachtclub mehr bezahlen, seit es Touristen gibt?

Die Wahrheit ist, sie finden es überhaupt nicht albern. „Von hier, von der Elfenbeinküste aus, sind sie doch auf die Sklavenschiffe nach Amerika verschleppt worden. Vielleicht kennt ihr in Europa diese Geschichte nicht so...“ (Deutschland? Kennen sie: „Guten Tag, Kugelschreiber, Gestapo“.) Aha, findet sich hier also der linke und inzwischen auch rechte Kulturpessimismus bestätigt, daß die amerikanische Kulturindustrie morgen die ganze Welt in ihr Stahlbad des Fun tauchen wird, mit Coke, Jackson und Ninja Turtles? Keineswegs: Michael Jackson heißt hier nicht „Integration, Disneyland, ewige Jugend“ – sondern „ich kann mir mein Gesicht/ meinen sozialen Status selbst machen, ich kann Botschafter werden als Schwarzer“ etc.

In Wahrheit schießen die Projektionslinien über dem Atlantik haarscharf aneinander vorbei: Während man sich von Brooklyn aus Schwarzafrika als Pastorale mit geflochtenen Haaren, strahlenden Kindern und buntbedruckten Stoffen denkt, ist der Bildausschnitt von der Elfenbeinküste aus eher die Wall Street in schwarzer Hand, urbanes schwarzes achievement, keinesfalls Crooklyn und Bensonhurst, keine niggaz with attitude. Daß die real existierende Deprivation auf beiden Seiten weder in den amerikanischen Black Studies noch im Geschichtsunterricht an der Elfenbeinküste auftaucht, ist wohl kaum ein Wunder.

Auch die Kung-Fu-Filme, die an der Elfenbeinküste gern statt eines Rückspiegels neben dem Busfahrer laufen, wenn er mit 160 über die Landstraße zwischen den Kakaoplantagen brettert, sind nicht einfach kulturimperialistische Kommunikationskiller. Eher signalisieren sie etwas wie „die da in Fernost waren auch mal Entwicklungsland, und schau, wie sie's mit ihren bloßen Händen jetzt so weit gebracht haben“.

Warum sieht man aber überall Schwarzenegger? „Der hat keine Frau oder Frauen und ein Dutzend Kinder, für die er sorgen muß, der bleibt stark für sich allein!“ hat J.-C. mir erklärt. (Man begrüßt sich dort übrigens mit einem forschen „en forme?“)

Auf die Art rutscht die Black Nation natürlich in denkbar weite Ferne: Wenn man hüben nur vom suburbanen Ninja-Turtle-Kinderparadies träumt, und drüben von der Einsamkeit des Langstreckenläufers/Bankers, dann taugt HipHop nicht mehr als schwarzes CNN. Dann vielleicht doch eher wieder die Cosby-Show.

„Menace II Society“. Regie: Allen und Albert Hughes, Buch: Tiger Williams. Mit Tyrin Turner, Larenz Tate, Pooh Man, Mc Eiht. USA 1993, 95 Min.

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