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Kleintiere und Supermächte

■ Heute extra Ei zum 652. Jubiläum der Wochenschau extra drei

Warum - sagen wir mal - erschüttert uns die wg. Erdbebens ausgefallene Kaffeemaschine bei Los Angeles mehr als das rührselige Treiben auf dem Kleintierfriedhof zu Holm/Wedel? Warum kümmert uns - sagen wir mal - die Randale im holsteinischen Ratzbek weniger als das Bügeln mit Druck aus dem Tank (statt mit der Hand)? Warum reizt uns Harald Schmidts tägliche stille Fürsprache mit Gott erheblicher als - sagen wir mal- der Fuhlsbüttlerin Gabriele Rautenkrantz-Friebis' vorsorglicher Bestattungsservice zu Lebzeiten? - Fragen über Fragen, die sich der schwergeprüfte Gebührenzahler beim Betrachten des Deutschen Fernsehens stellt und vergeblich auf Antwort harrt.

Doch halt! Wir sollen doch nicht alle über einen Kamm scheren, und diejenigen in unser Lamentororso einbeziehen, die als Wertkonservierer seit Jahrzehnten mit der Parole „Dem Wahren, Guten, Schönen“ die Trikolore der Bildschirmaufklärung hochhalten! Nein, nicht „Das Wort zum Sonntag“ ist gemeint, auch nicht „Die Sesamstraße“. Wir meinen das heuer um 21.30 Uhr anhebende und via Schüssel auch in Lappland oder Vatikanstadt zu observierende N3-Periodikum, „Die wahre Wochenschau“, bekannter als „extra drei“.

Nicht zuletzt die in aufrechten Kreisen angesehene „FAZ“ verbreitete schon 1993 Lob und Hudel über das vom Jesteburger Hans-Jürgen Börner angeführte Magazin, würdigte es als Ausnahmeerscheinung in der zerkarsteten TV-Landschaft: „Weit und breit auf allen deutschen Fernsehkanälen gibt es nur eine Sendung, die den Versuch macht, den satirischen Gehalt der Zeit sichtbar zu machen.“

Und die Konkurrenz schaut auch nicht weg, angelt sich manch unter Börner entfaltetes Talent. Womit wir bei unserem Anliegen sind, denn heut gibt's als 652. Folge ausnahmsweise ein extra ei, ein Schatzkästlein-Special unter Beteiligung des rotbackigen Gesellen Wigald Boning. Dieser Wildeshausener Wurststandgourmet und Doitschländer-Bürstchen-Krüschling, der neuerdings im Wochentakt beim Rummelpott RTL postmodern komödienstadelt, umrankt heuer als Börners Sofamops den Blumenstrauß waghalsiger Beiträge aus seinem, Frau Susanne Müllers und Herrn Andreas Koerpers Oeuvre. In erster Linie eine Retrospektive Boningschen Schaffens: Ein medialer Frühstarter in Wildeshausen, ein verwegener Betrachter DDR-deutscher Alltagskultur und zuletzt gar im Gespann mit Müller/Coerper einer Putzfrau über den Atlantik hinterhergejettet, um der gebenedeiten Weltmacht USA schräge Spots abzugewinnen, die minutenweise ins Programm eingestreut werden und nach deren Besichtigung wir unser Bild wieder mal zurechtrücken müssen, vielleicht zu hartgesottenen Nordatlantikpakt-Fans mutieren. - God shave America! Gott segne extra drei!

Knut Sieversen, Rümpel

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