■ Spätlese: Freiheit
Heutzutage würde er seine Geschichte an die Bunte verkaufen oder über die Fernsehserie „Verzeih mir“ einen Blumenstrauß plazieren, in jedem Fall wäre er ein gemachter Mann. Vor gut 80 Jahren fand sich nur ein Schriftsteller namens H.G. Wells, seine Geschichte zu notieren und auf diesem vergleichsweise diskreten Wege der Öffentlichkeit zu überlassen: „Mr. Polly steigt aus“ ist ein Roman, dessen Titel sich zu der Erzählung verhält wie die Beschriftung der Teedose zu ihrem Inhalt. Denn Mr. Polly steigt tatsächlich aus, und wie das geschieht, fügt es sich bruchlos in die Biographie dieses Menschen, bei dem Wollen und Tat in einem deprimierend verkrümmten Verhältnis zueinander stehen: Eigentlich wollte der erfolglose Ladenbesitzer, der unglückliche Ehemann, der haarlos werdende Melancholiker seinem Leben auf so solide und zugleich loyale Weise ein Ende bereiten, daß seine Witwe immerhin in den Genuß der Lebensversicherung kommen sollte. Aber dann brannte nur das Haus ab, ohne ihn, und er nutzte die Gunst der Stunde, sich lebendig und französisch zu empfehlen. Durch diese Fügung von allen Vergangenheiten so schmerz- und rückhaltlos, wie es dem berühmten Mann, der zum Briefkasten ging, niemals gelingen kann, befreit, macht sich Mr. Polly auf in ein neues Leben: fort aus der Kapitalgesellschaft und hinein in eine Flußlandschaft der sanften Möglichkeiten. Eine wirklich schöne Geschichte also.
H.G. Wells: „Mr. Polly steigt aus“. Roman, aus dem Englischen elegant von Günther Blaicher übertragen, Insel Verlag, gebunden, 288 Seiten, 38 DM.
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