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Spiele ohne kulturelle Grenzen

■ Mit MigrantInnen assoziiert man/frau in Deutschland Kulturkonflikte, nicht aber Kinder- und Erwachsenenspiele oder Feste

Von Claudia Emmendörfer-Brößler

„Die Iranerin“, „den Türken“ oder gar „den Ausländer“ gibt es auch im Freizeitverhalten nicht. Dennoch können wir feststellen, daß die meisten MigrantInnen ihre Freizeit in der Gruppe verbringen. Besuch zu erhalten ist eine Ehre. Bei den traditionellen TürkInnen küssen die Jüngeren den Älteren zur Begrüßung die Hände; es wird Kaffee serviert oder Tee aus dem Samowar, erzählt, gespielt und musiziert. Häufig treffen sich die Imazighen (Berber) aus Algerien, um gemeinsam mit Trommel, Flöte, Dudelsack und Gitarre traditionelle Musik zu machen, während LateinamerikanerInnen lieber Merengue oder Salsa hören und dazu oft Tanzkurse organisieren.

Brettspiele wie Tavla (türkisch), Takhte (iranisch), Domino (zum Beispiel in Algerien, Thailand und Spanien), Schach und Pachis (indisch) sind sehr beliebt. Auch das Kartenspiel wird von allen Nationen geliebt: die SpanierInnen spielen Naipes, die RussInnen Durak, die IranerInnen Waragh, die KoreanerInnen Hwa tu und alle zusammen Poker. Spiele haben die Landesgrenzen schon immer mißachtet, Auch so beliebte Spiele wie Schach, Domino, Federball und Mau-Mau (dessen Name auf die britische Bezeichnung kenianischer Geheimbünde zurückgeht). Selbst das sommerliche Grillen im Freien haben wir uns abgeschaut – von den US-AmerikanerInnen. Oft bestehen die Gruppen der ausländischen Sommerfrischler aus Personen mehrerer Generationen. Sie verstehen es, sich einen Tag lang zusammen zu amüsieren, zu essen und zu trinken.

Neben der alltäglichen Freizeit, in der arbeitende Menschen manchmal einfach nur die Beine hochlegen wollen, gibt es auch Höhepunkte im Jahreszyklus: Feste, deren Vorbereitungen viel ehrenamtliche Zeit verschlingen. Im Dezember, wenn zu den meisten Familien der Nikolaus kommt (dessen Heimat übrigens in der heutigen Türkei liegt), bereiten viele schwedische Familien und Vereine das Fest der Heiligen Lucia vor. Frühmorgens spielt ein Familienmitglied die Lucia und bringt allen das Frühstück ans Bett. Nachmittags gibt es ein Fest, bei dem ein Mädchen in langem Gewand und mit einer brennenden Kerzenkrone auf dem Kopf als Lucia auftritt. Ihr folgt eine Schar von Gehilfinnen, Wichteln und ein Sternenjunge. Die Kinder tragen schwedische Gedichte und Lieder vor.

Weil sie aber in Deutschland leben, schaut auch der Nikolaus bei solchen Feiern vorbei und bringt Geschenke. Genauso großzügig ist er bei vielen italienischen Kindern, die eigentlich von einer seiner KonkurrentInnen beschenkt werden, von der Hexe Befana. In den deutschen Schulen finden Feste wie Befana oder Lucia selten Beachtung.

Bei den beiden großen islamischen Festen dagegen bekommen die Kinder in vielen Bundesländern schulfrei. Ihre Eltern müssen sich Urlaub nehmen. In den türkischen Familien wird am Fest des Fastenbrechens „süß gegessen und süß gesprochen“, wie ein Sprichwort sagt. Die Kinder bekommen neue Kleider und Süßigkeiten geschenkt, während sich die Erwachsenen besuchen und köstliche Gerichte essen. Sie feiern das Ende des Ramadan.

Die Feste unserer ausländischen NachbarInnen, ArbeitskollegInnen und KomilitonInnen finden zwar hinter geschlossenen Türen statt, damit sie nicht vom deutschen Alltagslärm und -trott überrollt werden, aber verschlossen sind die Türen nur selten.

Über Gäste beim griechisch-orthodoxen Gottesdienst freuen sich die GriechInnen gewöhnlich sehr. Draußen vor der Kirche herrscht Feierabendverkehr (die christlich- orthodoxen Kirchen feiern etwa drei Wochen nach den katholischen und evangelischen), und die Gläubigen ziehen es vor, mit der Karfreitagsprozession nur um die Kirche zu laufen, ohne eine Straße zu überqueren. Erstaunt betrachten viele deutsche PassantInnen die Prozession.

Nicht nur am 1. Januar, sondern auch in anderen Monaten des Jahres finden Neujahrsfeste statt. Zu Newroz, dem Neufahrsfest nach dem traditionellen iranischen Kalender (das feiern die Kurden), dekoriert jede Familie einen Tisch mit sieben Gegenständen, die mit „s“ beginnen: zum Beispiel mit sonbol, der Hyazinthe, sekkeh, der Münze, und selbstgezogenen Getreidesprößlingen. Dreizehn Tage besucht man/frau sich gegenseitig, um dann die Getreidesprößlinge auf einen Fluß zu setzen, und mit ihnen Sorgen und Unglück wegschwimmen zu lassen.

Auch bei dem thailändischen Fest Loi Krathong setzen die Leute selbstgebastelte kleine Boote auf einen Fluß. Probleme und Krankheiten sollen auf ihm davontreiben. Dieses Jahr war es der Asiatischen Frauengruppe in Frankfurt am Main zu kalt, und so gestalteten sie das Fest um. Sie feierten in ausgelassener Stimmung ein Thai-Deutsches-Familienfest und erprobten ihre Deutschkenntnisse, die sie in den in ihrer Freizeit organisierten Sprachkursen gelernt haben.

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