: Kein Krieg, das ist noch lange nicht Frieden
■ Johan Galtung über das Ende des Kalten Krieges, die Perspektiven in Ex-Jugoslawien und die künftigen Aufgaben der Friedensforschung
In Zeiten, wo die aktuelle außenpolitische Debatte sich wieder hauptsächlich ums Militär dreht, kann eine Besinnung auf Friedensforschung ganz nützlich sein. Wenn die Fragen der Friedenssicherung sich darauf reduzieren, ob eine Ost-Erweiterung der Nato eine eher stabilisierende, friedensichernde oder destabilisierende Funktion hätte, ist es ganz hilfreich, sich wieder einmal die etwas aus der Mode geratenen Ergebnisse der Friedensforscher zu vergegenwärtigen. Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden kann man bei einer Lektüre eines jüngst erschienenen Interview-Buches mit dem Nestor der europäischen Friedensforschung, Johan Galtung. Im Gespräch mit dem Schweizer Fernsehjournalisten Erwin Koller analysiert Galtung die Ursachen für das Ende des Kalten Krieges, zieht daraus Schlüsse für die zukünftige Politik und ordnet den Krieg in Jugoslawien nach globalen Kriterien der Friedensforschung der letzten 30 Jahre ein.
Das Buch ist angenehm zu lesen, weil der Interviewer keine endlosen Monologe zuläßt und Galtung sich auch als Person einbringen muß. Dabei erfährt man sowohl etwas über die Ursprünge der Friedensforschung als auch über die ungewöhnliche Karriere eines Sprosses der norwegischen Elite. Angesichts der teilweise sehr nüchternen Anmerkungen Galtungs zum Jugoslawienkrieg ist es wichtig, diesen Hintergrund zu kennen. Sonst könnte man Gefahr laufen, Galtung in eine falsche Schublade zu stecken. Wenn er z.B. Fragen nach dem Leid in Sarajevo und was dagegen zu tun sei damit abspeist, daß Krieg immer „ein Skandal für die Menschheit“ sei und Bosnien sich prinzipiell von Vietnam, Afghanistan, Irak oder Panama nicht unterscheide, könnte man meinen, hier spräche jemand, der zum mitleiden unfähig ist. Doch Galtung gehört zu den wenigen, die so formulieren dürfen, gerade weil er immer wieder gezeigt hat, daß der Einsatz für Frieden global sein muß, wenn er glaubwürdig sein will.
Überhaupt vermittelt der kosmopolitische Norweger Johan Galtung eine Ahnung davon, was globales Denken bedeutet. Wenn er Konfliktursachen beschreibt, wenn er Voraussetzungen für Frieden analysiert, wird immer wieder deutlich, daß ihm bewußt ist, welche Bedeutung die Weltwirtschaft sowie kulturelle und religiöse Differenzen zwischen den Völkern für den Frieden haben. Galtung ist ein erfolgreicher Schüler Ghandis, der versucht, die Prinzipien des Inders für den globalen Einsatz handhabbar zu machen – zum Beispiel den Dialog auf den verschiedenen Ebenen der menschlichen Kommunikation. Dialog ist einer der Schlüsselbegriffe der Friedensforschung, und durch das Ende des Kalten Krieges sieht Galtung sich in seinen Analysen bestätigt. So betrachtet er den „Helsinki-Prozeß“ auch als den Anfang vom Ende der Ost-West-Polarität und glaubt, daß das Ende der Konfrontation viel schneller hätte kommen können, wenn die Nato nicht im Dezember 1979 den berüchtigten „Doppelbeschluß“ gefaßt hätte. Dieser sei mit ein Grund für den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan zwei Wochen später gewesen, und beides zusammen habe dann dazu geführt, daß die sowjetische Führung auf der einen und Reagan auf der anderen Seite die Konfrontationspolitik gegen ihre jeweilige Bevölkerung noch jahrelang durchsetzen konnten.
Aktuell und am meisten umstritten dürften Galtungs Einschätzungen und Empfehlungen zu Jugoslawien sein. Er provoziert, indem er sich weigert, dem Krieg eine andere weltpolitische Priorität zuzuordnen als außereuropäischen Kriegen, und er bleibt konsequent bei seiner Dialogstrategie. Allenfalls einen massenhaften Einsatz von Blauhelmen – zehnmal mehr als im Moment – hält er im Sinne einer Konflikteindämmung für sinnvoll, ansonsten ist er für Reden statt Schießen mit dem langfristigen Ziel eines Interessenausgleichs zwischen allen Konfliktparteien. Im Unterschied zu anderen schiebt Galtung aber nicht aus ideologischen Gründen Scheinargumente vor. Er spricht nur aus der Überzeugung, daß der Krieg durch mehr Militär nicht zu lösen ist. In acht Punkten skizziert er ein Konzept, ohne Militärintervention den Krieg zu beenden. Für den Fall einer weiteren Eskalation sagt Galtung eine Dreiteilung des europäischen Raums in katholisch-protestantische, orthodoxe und islamische Einflußgebiete voraus.
Trotz aller pessimistischer Prognosen kommt Galtung zu einem eindeutigen Fazit: Der Frieden ist machbar, allerdings gibt es einen grundlegenden Widerspruch zwischen dem heutigen Staatensystem und dem Frieden. Es bleibt noch viel zu tun. Jürgen Gottschlich
„Nach dem Kalten Krieg. Johan Galtung im Gespräch mit Erwin Koller“. Verlag pendo-profile, 156 Seiten, 18 DM
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