: „Schneewittchens“ Märchenstunde
■ Bei dem angeblichen Ostagenten und SPD-Mann Wienand kam der Stasi-Obrist Schalck-Golodkowski ins Stottern
Bonn (taz) – Der ehemalige DDR-Devisenjongleur Alexander Schalck-Golodkowski hat bei seiner letzten Vernehmung durch den Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestages am Donnerstag in Bonn möglicherweise Kenntnisse über DDR-Kontakte des SPD-Politikers Karl Wienand verschwiegen. Karl Wienand, der während der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt parlamentarischer Geschäftsführer der SPD- Fraktion im Bundestag und ein enger Vertrauter Herbert Wehners war, wird derzeit von einigen Medien im Rahmen der Wehner- Kampagne als mutmaßlicher Ost- Agent gehandelt. Seit dem vergangenen Sommer ermittelt die Karlsruher Bundesanwaltschaft gegen ihn wegen Spionageverdacht.
Die Abgeordnete Ingrid Köppe (Bündnis 90/Grüne) fragte Alexander Schalck-Golodkowski am Donnerstag, was er als Ex-Boß des Bereiches „Kommerzielle Koordinierung“ über eventuelle DDR- Geschäftskontakte von Karl Wienand wisse. Eine Frage, die den Zeugen Schalck-Golodkowski spürbar ins Schleudern brachte. Erst nach Getuschel mit seinem Anwalt Peter Danckert gab Schalck kund, „keine konkreten“ Kenntnisse zu haben. Nach mehrmaligem Nachfragen Köppes mochte sich Schalck drucksend an gar nichts mehr erinnern.
Daß er sich womöglich mal mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) über Wienand unterhalten habe, wollte Schalck-Golodkowski immerhin „nicht ausschließen“. Die Aussage wirft die Frage auf, ob Schalcks Gehirnzellen allmählich erlahmen oder ob der ehemalige Stasi-Obrist und Ost-West-Unterhändler den Abgeordneten Kenntnisse über Wienand vorenthielt.
Denn nachweislich war Karl Wienand mindestens einmal Gesprächsthema zwischen einem BND-Beamten und Schalck. Im Januar 1991 rief Schalck einen seiner Kontaktmänner beim BND in Pullach an, der ihn seinerzeit unter dem Decknamen „Schneewittchen“ führte. Auf dem Notizzettel des BND-Beamten B. über dieses Telefonat findet sich als Punkt 3 der Name „Wienand“. Was immer damals zwischen Pullach und Schalck bekakelt wurde, die BND- Gesprächsnotiz belegt eindeutig, daß Karl Wienand Gesprächsthema war, und zwar lange bevor der SPD-Politiker als vermeintlicher Ost-Agent in die Schlagzeilen geriet.
Enge Geschäftskontakte zu Firmen aus Schalcks „Kommerzieller Koordinierung“ pflegte nachweislich ein enger Freund Wienands, der Ost-West-Händler Horst Bosse aus Bad Honnef am Rhein. Bosse geschäftete auch in den Grauzonen des innerdeutschen Handels; in Zollakten ist von finanziellen Unregelmäßigkeiten, etwa überhöhten Provisionen, die Rede. Bosses Name taucht auch in jener Bonner Affäre auf, für die sein Freund Karl Wienand als Namensgeber herhalten mußte: Der Steiner-Wienand-Affäre. 1972 geriet Wienand in den Verdacht, den CDU-Abgeordneten Julius Steiner bestochen zu haben, um das Mißtrauensvotum der CDU gegen SPD-Kanzler Willy Brandt wegen der Ostverträge zu vereiteln. 1972, also just im Jahr der Steiner-Wienand-Affäre, kam Horst Bosse bei einem Autounfall in der DDR ums Leben. Bis heute halten sich Gerüchte, bei Bosses Tod habe die Stasi ihre Hand im Spiel gehabt. thosch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen