: Dagobert ist klüger, als die Polizei erlaubt
■ Der Kaufhauserpresser narrte die Polizei mit selbstgebauter Lore auf Güterbahnhof / Geldübergabe wiederum gescheitert
Gäbe es eine akademische Ausbildungsstätte für Kriminelle, hätte der Kaufhauserpresser „Dagobert“ seit dem Wochenende wohl zu Recht die Anwartschaft auf eine Professur verdient. Zum wiederholten Mal stellte nämlich der Unbekannte, der vom Karstadt-Konzern seit Juni 1992 rund 1,5 Millionen Mark fordert, seine technischen Fertigkeiten unter Beweis. Diesmal bastelte er eine Lore, mit der er auf einem stillgelegten Berliner Gleiskörper auf dem Güterbahnhof Charlottenburg das Geld „einfahren“ wollte.
Die Anleitung gab der Erpresser am Samstag abend der Polizei nach einem Anruf gleich mit auf den Weg: Zunächst wurde in einer Telefonzelle in Tegel eine Botschaft samt Schlüssel entdeckt, mit dem die Beamten anschließend auf dem Güterbahnhof eine rund sechzig Zentimeter lange Holzkiste öffneten, die auf der Lore abgestellt war. Nachdem sie vorschriftsmäßig das Geld darin deponiert und einen Schalter betätigt hatten, erlebte die Kripo erneut eine Lektion krimineller Prophylaxe: Die Lore raste nicht nur auf und davon – eine sofortige Verfolgung verhinderten ausgelegte Stolperfallen, wie die im Fall Dagobert federführende Hamburger Polizei gestern sichtlich betroffen mitteilte.
Dagoberts Tüftelei (seit Juni 1992 scheiterten mindestens 17 Versuche, das Geld zu übergeben) mangelte es wiederum am letzten technischen Schliff: Nach rund einem Kilometer Fahrt senkte sich nämlich die Lore seitlich und prallte gegen einen Schwellenbolzen. Das Geldpaket flog heraus und landete rund dreißig Meter von einem Leinensack entfernt, in dem er die Scheine offenbar verstauen wollte.
Mit dem jüngsten Vorfall sammelte die Sonderkommission der Hamburger Kripo weitere Minuspunkte. Der Erpresser, der bereits bundesweit fünf Bomben hochgehen ließ und dadurch zwei Menschen verletzte, liegt in puncto intellektuelle Beweglichkeit klar an der Spitze. Während sich die Polizei mit schlichten Tricks wie Telefonüberwachung und getürktem Geld behilft, ersinnt der „intelligente Einzeltäter“ (so Polizeipsychologen) unermüdlich neue Wege, um an seine mittlerweile hart verdiente Beute heranzukommen: Zu den Highlights zählt jene selbstgebastelte Blechkiste samt Magnethalterung, die er im August 1992 durch Funkkontakt von einem Zug lossprengte. Trotz Großfahndung konnte er damals auf einem Mountainbike entkommen. Seine schweißtreibende Flucht wurde allerdings nicht belohnt – der Geldsack enthielt überwiegend Papier.
Monate später, im April 1993, foppte Dagobert die Beamten mit einer eigens zusammengenagelten Kiste, die über einem Gully abgestellt und mit Granulat gefüllt war. Während die Polizei geduldig oberirdisch wartete, schlich sich Dagobert in aller Ruhe durch die Kanalisation an sein Objekt heran und verschwand, nachdem er wiederum nur Falschgeld in den Händen hielt. Auch im Fach „Fernmeldetechnik“ bewies Dagobert seine Raffinesse gegenüber den hochgerüsteten Spezialisten. Bei der gescheiterten Geldübergabe am 15. Januar in Steglitz hatte er unter einem mit Gehwegplatten präparierten und zur Kanalisation führenden Sielschacht auf seine Beute gelauert. Nicht nur, daß die Kripomänner das Geld an einer falschen Stelle ablegten und von einem Sprayer und einem weiteren Unbeteiligten gestört wurden – die polizeiliche Chaostaktik hatte Dagobert offenbar genüßlich über ein Richtmikrophon aus der Unterwelt abgehört und war daraufhin geflohen.
Nur einmal kam dem cleveren Erpresser auch der Zufall zu Hilfe. Beim Abwurf eines Geldbeutels im Oktober 1992 aus einem Intercity in Charlottenburg gelang es einem Polizisten, ihn am Kragen zu packen. Die Rettung brachte ein Exkrement, über den auch der Erpresser schon geflucht haben mag: ein Haufen Hundekot, auf dem der Beamte ausrutschte. Dem Tierchen dürfte Dagobert noch heute dankbar sein. Severin Weiland
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