: Zwischen Himmel und Hölle
■ Durch einen achten Platz bei den Europameisterschaften im Eiskunstlauf qualifizierte sich Katarina Witt für Olympia / Es siegte die Französin Surya Bonaly
Kopenhagen (dpa/taz) – Hoch über den Dächern von Kopenhagen schwebte Katarina Witt wie auf Wolke sieben. „Ich bin so glücklich, denn ich hatte den Mut schon verloren“, bekannte die 28jährige Olympiasiegerin von 1984 und 1988. Mit der traditionellen „Blauen Stunde“ der Deutschen Eislauf-Union (DEU) zum Abschluß der Europameisterschaften im 26. Stock des „Hotel Skandinavia“ gingen für sie Tage zwischen Himmel und Hölle zu Ende. „Es war am Rande des Erträglichen, es ging an die Substanz“, sagte Katarina Witt, die sich als EM-Achte ihren Traum von der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Lillehammer erfüllte.
Die sechsmalige Europameisterin fühlte sich wie ein Drahtseil- Artist, der jeden Moment abzustürzen droht. Nach dem fatalen Technikprogramm, das ihre Illusion vom ganz großen Comeback gefrieren ließ, war sie am Boden zerstört. Ihre „Robin Hood“-Darbietung nach der Musik des Films von Kevin Costner, die sie sonst „im Schlaf“ beherrscht, ging völlig daneben. Konsequenz der mißratenen Kurzkür war der neunte Platz, mit dem sie alle Medaillenhoffnungen begraben konnte. Von Weinkrämpfen geschüttelt, mußte sie die Pressekonferenz verlassen, und auch im Training am nächsten Morgen ging eine Menge daneben. Im internen Kampf um das Olympiaticket hatte sie jedoch Glück, daß ihre Konkurrentin Marina Kielmann noch weit heftiger patzte. Die Dortmunderin landete lediglich auf dem 14. Rang.
Das Publikum, das sie beim Einlaufen zur entscheidenden Kür mit großem Applaus empfing, habe sie wieder aufgebaut, erzählte Katarina Witt, dennoch lief die Angst mit, als die ersten Takte ihrer „Sag' mir, wo die Blumen sind“-Kür ertönten. „Ich habe mich durch das Programm gekämpft, meine ganze Kraft und Seele reingelegt“, sagte sie. Vor lauter Eifer mißlang nicht nur der dreifache Salchow ein wenig. Plötzlich wußte Katarina Witt nicht mehr, wie es weitergeht: „Nach dem Doppel-Axel habe ich aus Freude einfach vergessen, wie eine Pirouette geht. Aus der Not bin ich einen Butterfly gesprungen.“ Die 5.500 Zuschauerinnen und Zuschauer hatten es nicht bemerkt und jubelten ihr begeistert zu.
Daß in der Heimat noch einmal Speerspitzen in ihre Richtung geschossen, die Qualifikations-Kriterien für sie in Frage gestellt wurden, hat die Karl-Marx-Städterin getroffen: „Das hat gezehrt. Einige hatten da ein gutes Timing.“ Der achte Platz beendete zwar die Diskussion um ihre Nominierung, forderte aber auch die Häme der Französin Surya Bonaly heraus, die vor der ukrainischen Weltmeisterin Oksana Bajul zum vierten Mal Europameisterin wurde: „Kati ist eine gute Läuferin, doch ich glaube nicht, daß sie auf unser Niveau kommen kann.“ Die Deutsche stören solche Giftpfeile nicht. „Mir ist es wirklich egal, ob sieben Läuferinnen nun sagen können, sie haben die Witt geschlagen. Ich habe mein Ziel erreicht“, meinte sie gelassen.
Auch Tanja Szewczenko hat die Olympiateilnahme ereicht. Die 16jährige Düsseldorferin schaffte zwar nicht die erhoffte Medaille, kam aber auf den fünften Platz. Als faire Verliererin im DEU-Trio erwies sich Marina Kielmann (24), die als Neunte nicht mit nach Lillehammer darf. „Ich habe es mir mit meinen Fehlern in der Kurzkür selbst eingebrockt. Die Welt geht jetzt nicht unter“, erklärte die viermalige EM-Medaillengewinnerin, die zum Trost im März zur WM nach Makuhari/Japan reisen darf.
Den olympischen Trip dürfen mehr deutsche Läufer als 1992 antreten. Im Paarlauf konnten Mandy Wötzel/Ingo Steuer (Chemnitz/5. Platz) ihr Silber nicht verteidigen; dafür fahren aber alle drei Duos nach Norwegen. Erstmals seit 1988 ist mit Jennifer Goolsbee/Hendryk Schamberger (Essen/9.) wieder ein deutsches Eistanz-Paar auf dem olympischen Parkett. Nur der deutsche Meister Ronny Winkler (Chemnitz/10.) muß zu Hause bleiben.
Neben Katarina Witt vermochten auch die anderen zurückgekehrten Profis zu begeistern. Dem britischen Tanzpaar Jayne Torvill/ Christopher Dean fehlte zwar die Zauberkraft früherer Tage, am Ende holte es jedoch mit winzigem Vorsprung vor den Russen Oksana Gritschuk/Jewgeni Platow und Maia Usowa/Alexander Schulin nach einem Jahrzehnt Unterbrechung seinen vierten Titel.
Eine Klasse für sich waren die Paarlauf-Rückkehrer Jekaterina Gordejewa/Sergej Grinkow (Rußland), die mit ihrem Auftritt der EM das große Glanzlicht aufsetzen. Etwas matt, aber besser als die europäischen Amateure war Olympiasieger Viktor Petrenko (Ukraine), der wieder wie 1990 und 1991 an die Spitze rückte.
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