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Adolf Aloisowitsch

■ Rechtsradikale Intellektuelle erneuern Wahlverwandtschaften

Wolfgang Strauss, „Rußland- Experte“ und Autor der rechtsradikalen „Staatsbriefe“, zeigte nationalistisches Selbstbewußtsein: „Die russische Neue Rechte ist inzwischen bei den deutschen Lehrern und Lehren angelangt“, schrieb er jüngst mit stolzem Unterton. Die Bemerkung fiel in der Rezension eines Werkes über russische Rechte mit dem mißratenen deutschen Titel „Der Schoß ist fruchtbar noch“ (im englischen Original: „The Black Hundred“). Das materialreiche Opus des einst vor den Nazis geflohenen Breslauer Juden Walter Laqueur, international renommierter Ostexperte und Historiker am „Center for Strategic and International Studies“ in Washington, fand zunächst vor allem in der rechtsradikalen Gazette Aufmerksamkeit. Dort hieß es: „Die Russophobie entlarvt sich als Germanophobie, und das hier besprochene Werk ist ein Nebenpamphlet gegen Deutschland und Deutschtum und das Reich.“

Eine Erklärung intervölkischer Solidarität, die auch in Kreisen rechtsradikaler russischer Intellektueller längst zum ideologischen Repertoire gehört. In Rußland ist die Rechte nicht nur Sammlungsbewegung deklassierter Schichten. Zu ihr zählen mittlerweile international bekannte Wissenschaftler, Künstler, Philosophen und Kirchenleute. Der Maler Ilja Glasunow bespielsweise hatte in Deutschland zahlreiche Ausstellungen. Der langjährige Le Pen- Freund zeigt auf einem seiner jüngsten und sehr populären Gemälde Rußland als Opfer der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung. Prominente Rechte sind auch der Schriftsteller Valentin Rasputin, der Mathematiker, Publizist und Heinemann-Preisträger Igor Schafarewitsch und der Metropolit Ioanna von St. Petersburg, einer der ranghöchsten Hierarchen der russisch-orthodoxen Kirche.

In der rechtsextremen deutschen Publizistik und Intelligenzija entdeckt man derzeit „die Russen“, von den Zeitschriften Criticon und Mut bis zum Matthes & Seitz Verlag. Es sind vor allem die religiösen Philosophen und Anti- Aufklärer des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die interessieren. Das hat eine historische Präzedenz in der antiwestlichen Zivilisationskritik der zehner und zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts. „Russische Seele“, mystische „Tiefe“ und „Ursprünglichkeit“, gepriesen, sind auch heute zunehmend wieder en vogue.

Doch deutsch-russische Geistesflüge sind keine Einbahnstraße: In der russischen Rechtspresse hat man umgekehrt „die Deutschen“ entdeckt, vornehmlich die Vordenker der „Konservativen Revolution“ wie Oswald Spengler, Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Bruck (er prägte nicht nur den Terminus „Das Dritte Reich“, sondern war einst auch Herausgeber der Dostojewski-Gesamtausgabe) oder den

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hierzulande kaum bekannten Karl Haushofer, Mitbegründer der von den Nazis geschätzten, Lebensräume definierenden „Geopolitik“.

Ohne Verschwörung geht es nicht

Während die Westpresse auf die eher operettenhaft wirkenden Schwarzhemden der Pamjat-Bewegung oder die telegen-militanten Barkaschow-Kampfgruppen fixiert war, sind massenwirksame Medien entstanden (wie etwa die Wochenzeitung Den – „Der Tag“, Auflage ca. 150.000), die erheblichen intellektuellen Einfluß haben. In deren Redaktionen sitzen auch die bereits erwähnten Rasputin und Schafarewitsch.

In der Sowjetideologie nicht vorgesehen war der offen propagierte Nationalismus, selbst wenn sich manche Rechten in Rußland nach den imperialen Zeiten von Stalin ff. zurücksehnen. Aber schon vor der Perestroika hat es einen Nationalismus in unterschiedlichen Verkleidungen gegeben, etwa in der Denkmalschutzbewegung, in der die Pamjat-Gruppen ihren Ursprung haben. Auch die Ökologiebewegung ist wesentlich nationalistischer als hierzulande. Mißverständnissse sind in einer solchen historischen Lage natürlich nicht ausgeschlossen: Einige russische Ökofaschisten haben sich ausgerechnet Jutta Ditfurth zum Vorbild genommen.

Eine besondere Rolle in der rechtsextremen Ideologie in Rußland spielen Verschwörungstheorien – darauf hat auch Walter Laqueur hingewiesen. Die sind auch in der Intelligenzija anzutreffen. Besonders verbreitet ist die „Theorie“ einer jüdisch-freimaurerischen Verschwörung gegen das russische Volk. Diese nahm ihren Ausgang bereits in der wohl verhängnisvollsten Geschichtsfälschung, den „Protokollen der Weisen von Zion“. Die wahrscheinlich von der russischen Geheimpolizei zum Ende des letzten Jahrhunderts fingierten Protokolle einer Verschwörung zur Erinnerung einer jüdisch-freimaurerischen Weltherrschaft traten ihren weltweiten Siegeszug nach der Oktoberrevolution an. Für dieses historische Ereignis und seine heimlichen Drahtzieher schienen sie eine plausible Erklärung zu bieten. Auch die Nazis bedienten sich in ihrer Propaganda häufig der „Protokolle“.

Mittlerweile kann man diese „Dokumente“ in Moskau an jeder Straßenecke kaufen. Mit Wirkung auch im Alltagsbewußtsein: Da werden Freimaurerzeichen auf der Ein-Dollar-Note, in Rußland zur Zweitwährung avanciert, zum Beleg für die Realisierung der von den USA gesteuerten jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung. Die Paranoia vor geheimen Verschwörungen von Juden und Freimaurern – rechte Ökogruppen schieben ihnen auch Umweltkatastrophen in die Schuhe – ist auch fester Bestandteil der Predigten höchster Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche. Die hat in den letzten Jahrzehnten ohnehin eine unrühmliche Rolle gespielt. Sie wurde von den Rechten als Bündnispartner in Sachen Antisemitismus, Nationalismus, Gegenaufklärung und Antiliberalismus entdeckt. Im Kloster Optina, 200 Kilometer südwestlich von Moskau, ist man nicht nur stolz auf den mehrjährigen Aufenthalt von Sergej Nilus, dem ersten Herausgeber der „Protokolle“, an deren Echtheit hier niemand zweifelt. Man rühmt sich auch, jede Form des Andenkens an die dort gefangenen polnischen Offiziere, die bei Katyn erschossen wurden, verhindert zu haben.

Ludwig Erhard gut – Adolf Hitler besser

Da ist die russische Rechte gegenüber Deutschen wider alle geschichtlichen Erfahrungen freundlicher. Wie verstiegen dabei die besagten Verschwörungstheorien sind, demonstrieren russische Verehrer von „Adolf Aloisowitsch“, wie Hitler liebevoll genannt wird. Der Vernichtungsfeldzug gen Osten wird als beklagenswerter Irrtum verstanden, den sich manche nur durch – wer hätte das gedacht – eine jüdische Verschwörung erklären können. Bis zu diesem bedauerlichen Mißgeschick aber habe Hitler es vermocht, Deutschland aus einer Situation herauszuführen, die der Rußlands heute vergleichbar sei: territoriale Verluste, Demütigung des nationalen Selbstbewußtseins, wirtschaftlicher Niedergang, Korrumpierung der eigenen Kultur durch fremde Einflüsse. Von den Deutschen lernen? Nicht nur Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ ist zur Zeit bei Rußlands Straßenhändlern ein Bestseller, sondern trotz desPreises auch Adolf Hitlers „Mein Kampf“.

Da wittern verständlicherweise auch deutsche Nazis Morgenluft aus dem Osten. Und Wolfgang Strauss steigert sich in seinem „Staatsbriefe“-Pamphlet zur imperialen Klimax: „Kein Moses, kein Pilatus werden Rußlands Marsch nach einem erneuerten Dritten Rom aufhalten. Das Dritte Rom, das Vierte Reich; die Skythen* und der Furor teutonicus... Das 21. Jahrhundert beginnt unter diesem Zeichen.“ Richard Laufner

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