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Die Gründung einer Ideenschmiede

Mit einer neuen Bioethik gegen mangelnde Akzeptanz der neuen Technologien / Gentechnologen, Humangenetiker und Mediziner nehmen sich selbst unter die Lupe  ■ Von Klaus-Peter Görlitzer

Die Scientific Community nebst interessierter Öffentlichkeit ist am kommenden Freitag in die „Wissenschaftsstadt Bonn“ geladen, genauer: in die Aula der altehrwürdigen Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität. Zu erleben ist dort die offizielle Eröffnung des Instituts für Wissenschaft und Ethik – des „Kristallisationskerns ethischer Reflexion“ für Professoren, die herausfinden, plausibel machen und rechtfertigen wollen, welche Risiken den Menschen in der High-Tech-Gesellschaft zuzumuten sind.

Träger des neuen Instituts ist ein eingetragener Verein, der vor einem Jahr auf Initiative der Universitäten Bonn und Essen sowie der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt und des Forschungszentrums Jülich gegründet worden war. Hervorgegangen ist die Ideenschmiede aus der Forschungsarbeitsgemeinschaft Bioethik in Nordrhein-Westfalen (FAG). Das Professorenteam, 21 Männer und eine Frau, hatte sich, angeregt von NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD), bereits 1989 konstituiert. In der FAG dabei sind Wissenschaftler aus den Disziplinen Philosophie, Sozialethik, Soziologie, Mikrobiologie, Züchtungsforschung, Humangenetik, Transplantationschirugie, Reproduktions- und Sozialmedizin.

Nach einer, so die offizielle Darstellung, „ersten Sondierung“ wählte die FAG für eine „Vorstudie“ drei Teilgebiete der biomedizinischen Wissenschaften aus – und zwar ausgerechnet diejenigen, die bei vielen Menschen auf Widerstand, Ablehnung oder Skepsis stoßen: Humangenetik, gentechnische Manipulation von Pflanzen und Tieren, Organtransplantation.

Unter Federführung der Philosophieprofessoren Ludwig Siep (Münster), Oswald Schwemmer (Düsseldorf), Ludger Honnefelder (Bonn) und Carl Friedrich Gethmann (Essen) nahmen die Anwender biomedizinischer Techniken sich selbst unter die Lupe: Die Essener Transplantationschirurgen Friedrich Wilhelm Eigler und Ulrich Schäfer dachten über ethische Probleme der Organtransplantation nach, der Bonner Humangenetiker Peter Propping widmete sich der Humangenetik, und um die Ethik der „Gentechnik im nicht humanen Bereich“ kümmerten sich der Mikrobiologe Alfred Pühler aus Bielefeld sowie der Kölner Züchtungsforscher Heinz Saedler, der durch den ersten Freisetzungsversuch mit gentechnisch manipulierten Petunien in die deutsche Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist.

Anderthalb Jahre später war die Vorstudie fertig – Titel: „Die Natürlichkeit der Natur und die Zumutbarkeit von Risiken“. Die Inhalte wurden indessen weder den Bürgern noch den Politikern offiziell zugemutet; im zuständigen Landtagsausschuß Mensch und Technik gab es jedenfalls keine Diskussion der Studie, die immerhin aus der Landeskasse bezahlt worden war.

Nicht gerade einfach ist zu verstehen, was die Experten als Quintessenz präsentieren: „Klärungsbedürftig“, so das zentrale Ergebnis, „ist ein bestimmter Typ von Prämissen, die bei der ethischen Beurteilung bei der Zumutbarkeit von Risiken als intuitiv plausibel verwendet werden und mit denen Bezug genommen wird auf Annahmen über die Natürlichkeit der Natur“. Und um Drittmittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft einzuwerben, spitzten die Ethiker ihre Aussage noch etwas zu: „In Anwendung auf völlig neue Fragestellungen kann aber das bislang intuitiv Plausible seine Tragfähigkeit verlieren.“

Wer sich durch solche Formulierungen nicht verwirren läßt und weiterliest, erfährt dann auch, worum es den Professoren mit ihrer Bioethik geht: Die Menschen sollen zweifeln und umdenken. Beispielsweise diejenigen, denen bislang intuitiv plausibel ist, daß eine Organentnahme ausschließlich dann erlaubt werden darf, wenn der ausgeguckte „Spender“ sich zu Lebzeiten ausdrücklich dazu bereit erklärt hat. Dagegen beurteilt die FAG die sogenannte Informationslösung „in moralischer Hinsicht als besonders vorzugswürdig“. Das Schlagwort steht für die Erlaubnis, Organe selbst dann zu entnehmen, wenn keine schriftliche Äußerung des Spenders vorliegt. In Frage stellen die NRW-Bioethiker auch diejenigen, die meinen, der Mensch setze sich über die durch die Natur gesetzten Grenzen des Handelns hinweg, sobald er per Genmanipulation die Artgrenzen bei Pflanzen und Tieren überschreitet. „Im Gegensatz zur üblichen Auffassung“, so die bioethische Antwort, „tragen die neuen Techniken zur Artenbildung und -vielfalt bei.“

Die Grundsatzfrage klammern die sich differenziert gebenden Bioethiker aus. Sie setzen einfach voraus, daß Organtransplantation, Humangenetik und genetische Manipulation von Pflanzen und Tieren Techniken seien, deren Anwendung prinzipiell erwünscht sei – plausibel erscheint, was technisch machbar ist.

Angesichts solcher Ergebnisse und Vorgaben sehen aufmerksame Beobachter der Bioethikszene das neue Bonner Institut kritisch. So etwa das Essener Gen– Archiv, das bereits vor dreieinhalb Jahren gemeinsam mit Behinderten-Initiativen eine „Widerstandstagung“ veranstaltet hatte – und zwar gegen einen internationalen Bioethik-Kongreß, für den der Bochumer Philosophieprofessor Hans-Martin Sass unter anderem Beiträge über „Euthanasie“ und „Todeskriterien“ angefordert hatte. Sass, gleichzeitig Direktor des Europäischen Ethikprogramms am Kennedy Institute of Ethics der Georgetown University in Washington, gilt als Generalimporteur der in den USA entwickelten Bioethik. So überrascht es auch nicht, daß er auch in der nordrhein- westfälischen Forschungsgemeinschaft mitmischt.

Die Funktion des neuen Bonner Instituts wird in einer ausführlichen Stellungnahme des Gen-Archivs folgendermaßen eingeschätzt: „Die hier vorgestellte Forschung dient – folgt man ihren eigenen Themenstellungen – vor allem dazu, ,kompetente Aussagen‘ aus einer wissenschaftlich renommierten ,Denkfabrik‘ zu liefern. Sie sollen als rechtfertigende Argumente absichern, was bereits – aparterweise von den gleichen, die diese Forschung betreiben – praktiziert wird.“

Tatsächlich schreiben die Institutsgründer in ihrem Konzeptpapier, daß ihnen sehr daran gelegen sei, für ihre Forschung gesellschaftliche Akzeptanz finden zu können.

Ob ihnen das gelingt, wird auch davon abhängen, inwieweit sich die Menschen ausreden lassen, was ihnen trotz neuer Techniken „intuitiv plausibel“, sprich selbstverständlich, erscheint. Dabei müssen sie sich auf ihren Verstand und ihre Gefühle verlassen – während ihre Steuergelder dazu benutzt werden, die Bioethik in der Bundesrepublik hoffähig zu machen.

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