Durchhören

■ Aus für Hamburgs letztes Einschaltradio "Kopfhörer" (NDR 1)

Als die Hamburger Musik- und Medien-Journaille 93er-Bilanz zog, gab es in der Rubrik „ärgerlich“ eine feste Größe: das (nahe) Ende von „Kopfhörer“. Die Abendsendung der Hamburg- Welle (NDR 1), in der Popmusik auch jenseits gängiger Hit-Ware kompetent vorgestellt wurde, ging nach fünf Jahren vergangenen Freitag zum letzten Mal über die Frequenz 90,3.

„Blinder Aktionismus“ auf der Jagd nach Quoten und „Durchhörbarkeit“ lautet der Vorwurf aus der „Kopfhörer“-Crew an die NDR-Verantwortlichen, die sich das leichteste Opfer im Stadtsender aussuchten: Ohne festen Redakteur stand die Sendung hausintern, so ein Moderator, „schon immer mit dem Rücken zur Wand“, trotz treuer Stammhörerschaft, die die Quote keineswegs unter das Gesamtniveau der Welle (zuletzt 5,6 Prozent) drückte.

Mit dem Ende der letzten Einschaltsendung soll, so 90,3-Chef Rüdiger Knott, „das Profil der Hamburg-Welle als „Begleitradio“ und „Info-Sender für diese Stadt“ im Hinblick auf eine Zielgruppe jenseits der 40 geschärft werden. Relativ spezialisierte Sendungen machte in der Ära der Privaten „einfach kein Hörer mehr mit“. Orientiert am gängigen Musik-Pool (Oldies, melodische Hits) des Stadtsenders heißt es nun dreimal pro Woche „Hamburg nach 8“. „Bestimmte musikalische Akzente“ (Knott) sollen durch vier Freeshot-Plätze weiterhin möglich sein. Zudem glaubt man, durch eine Oldie-Sendung und das unvermeidliche „Talk Radio“ (unter anderem mit „Psycho-Themen“) Kundschaft bei der starken Privatkonkurrenz abziehen zu können.

Die alte „Kopfhörer“-Manschaft durfte am neuen Konzept mitstricken und will mit zwei Ausnahmen notgedrungen süßsaure Miene zum bösen Spiel machen. Nicht zuletzt drücken finanzielle Einbußen auf die Risikofreude der Moderatoren. Überwintern bei karger Kost, lautet so vorerst die Devise, getragen von der schwachen Hoffnung, daß sich – wenn die Quote wieder nicht stimmt – doch noch etwas (zurück-)drehen läßt. Eingeweihte allerdings ahnen: Einmal weg ist immer weg.

Das „Kopfhörer“-Aus ist der vorläufige Endpunkt einer Programmpolitik, die eine intelligente Auseinandersetzung mit Pop-Kultur zuletzt konsequent in die finanz- und werbetechnisch dürftig ausgestattete Nische NDR 4 abgedrängt hat. Die Hauptwelle NDR 2 wurde selbst in den späten Abendstunden längst gnadenlos auf seichtes Hit-Format getrimmt. Seit dem Jahreswechsel kommen gar sämtliche NDR 2-Titel zentral aus einer Musikredaktion, in der nur noch sechs Playlist-Verwalter zwangsläufig weitgehend Langeweile programmieren. Gewollter und wohl zeitgemäßer Nebeneffekt: Der NDR kann sich die Moderatorenhonorare für die Musikzusammenstellung ihrer Sendungen sparen. Jörg Feyer