: „Kontroverse und spannendere Sendungen“?
■ NDR will keine Wahl-Hearings mehr senden / Rechtsradikale kein Unterhaltungselement
Noch immer geheim hält der NDR seinen Beschluß, im Superwahljahr 1994 keine Wahlhearings zu veranstalten. Dabei haben mit diesem Votum die NDR-Intendanten und Direktoren bereits am 17. Januar die erste Reihe verlassen. Denn die ARD verfolgt weiter die Linie, auf die sich ihre Chefredakteure Mitte November vorigen Jahres geeinigt hatten: Wahlhearings mit allen Parteien, die auf 2,5 Prozent WählerInnenstimmen oder mehr kommen können. Diese Marge haben Verwaltungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht in ihren jüngsten Urteilen festgelegt und REP's und DVU den Weg in die Fernsehstudios geebnet.
Neu nachzudenken sei allerdings , so die ARD-Chefredakteure weiter, wenn die PolitikerInnen der großen Parteien nicht mtispielten. Das tun sie in Niedersachsen nicht mehr. Dort verweigern sich Grüne, SPD, CDU und FDP dem Fernsehspektakel.
Die Gewerkschaft war es, die im Dezember '93 in ihrem Mitteilungsblatt „Aktuell 13/93 die drohenden Wahlhearings mit Rechtsradikalen öffentlich machte. Volker Bräutigam, IG-Medien Vorsitzender im NDR: „Es wird doch noch Sendeformen geben, in denen die faschistischen Schweinebacken nicht vorkommen.“
Die Leitung des NDR aber hüllte sich in Schweigen. Der Rundfunk hatte sich einmal mehr aus der Öffentlichkeit hinter verschlossene Türen zurückgezogen. Daß dort die Auseinandersetzungen liefen, konnten NDR-MitarbeiterInnen nur mutmaßen – bis sie es wußten. Es tauchte ein umfangreiches Papier von Dr. Joachim Wagner auf, stellvertretender Chefredakteur NDR-Fernsehen. Wagner findet – frei nach dem Motto: Quote statt Ehre – in seinem Papier Rechtsradikale für das Programm „spannend“. „Im Wahlhearing des NDR hat sich gezeigt, daß Vorwahlsendungen ohne Beteiligung rechter Parteien ein wichtiges und spannendes Thema aussparen und dadurch langweilig sein können. Die Teilnahme rechter Parteien verspricht kontroverse und... spannendere Sendungen.“
Unter RedakteurInnen blieb diese Haltung nicht unwidersprochen. Auch nicht unter den DirektorInnen der Landesfunkhäuser. Lea Rosh, Funkhaus Hannover, umriß einmal ihre Position so: Rechtsradikalismus sei eine Bedrohung der Demokratie und kein Unterhaltungselement in ansonsten langweiligen Vorwahlsendungen. Sie plädierte für andere, bessere Formen der Auseinandersetzung.
Auf solche Formen hat sich das NDR-Direktorium am 17. Januar geeinigt. Rundfunk und Fernsehen werden in redaktionell gestalteten Sendungen wie Features, Interviews, Berichten, Magazinen über den Wahlkampf und die Parteien informieren, nicht aber in der Form von Hearings.
Der NDR-Beschluß betrifft nur die Wahlen im eigenen Sendegebiet. Zu den Europa- und Bundestagswahlen müßten sich alle ARD-Anstalten einigen, wie und in welchen Formen sie dem Rundfunkauftrag gerecht werden. Der verpflichtet – als Beispiel, Staatsvertrag NDR – die öffentlich-rechtlichen Anstalten, in ihren Programmen die Würde des Menschen zu achten, die Gleichstellung von Frau und Mann zu unterstützen, für Friedenssicherung und Minderheitenschutz einzutreten, d.h. Faktor der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung zu sein, und nicht bloßes Forum für alle und jeden, auf keinen Fall für Nazis, Neonazis und Rechtsradikale.
Federführende Anstalt in der ARD ist zur Zeit der NDR, sein Intendant Jobst Plog gleichzeitg Vorsitzender der ARD. Wie er das in den nächsten Wochen nutzt, wird seinen eigenen Beschluß interpretieren. Unternimmt der NDR in der ARD nichts gegen die Wahlhearings mit Rechtsradikalen, dann hat das Direktorium lediglich Niedersachsens Politikern nachgegeben. Entwickelt der NDR hingegen Initiativen, daß im ersten Programm zu den Europa- und Bundestagswahlen Wahlhearings durch redaktionell verantwortete Sendungen ersetzt werden, dann könnte mensch auf Einsicht hoffen – und auf Chancen für Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus unabhängig davon, in welchen Parteien sie auftauchen. Britta Nitz
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