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Cherno-byl am Morgen

■ Die "heimliche" Konkurrenz der Frühstücksmagazine von ARD und ZDF

Es ist schon merkwürdig, was sich beim Kölner WDR alle zwei Wochen in aller Herrgottsfrühe abspielt: Wie in Trance versunken, murmeln die beiden Moderatoren des ARD-Morgenmagazins, Julitta Münch und Jürgen Drensek, vor sich hin. Im Sonnenaufgangs- Ambiente der Studiodekoration studieren sie kleinformatige Karteikarten, auf denen sie die Anmoderation für den nächsten Film skizziert haben. Drei Stunden lang konzentrierte Vorbereitung vor dem Rotlicht. So geht das jede zweite Woche, geschlagene fünf Tage lang, von sechs bis neun, seit nunmehr 19 Monaten. An diesem Freitag verabschiedet sich Drensek von der Sendung, zwei Wochen später als Kollegin Münch, deren Nachfolgerin Martina Eßer ist, langjährige Sportmoderatorin bei West 3. Für Drensek wird Sven Kunze moderieren, bislang Washington-Korrespondent der ARD.

Das alte Moderatoren-Duo wirkt ziemlich erschöpft. Münch: „Wir haben die Nase voll.“ Und Drensek: „Ich hab etwa tausend Stunden Live-Sendung hinter mir. Das reicht jetzt erst mal.“

Studiowechsel. ZDF-Morgenmagazin, Berlin-Tempelhof, 6 Uhr 29: Während gerade ein Beitrag zum Thema „Neue Armut“ läuft, legt sich Moderator Cherno Jobatey aufs Studio-Sofa und stellt sich schlafend. Die Sendeleitung filmt heimlich mit und wird den Klamauk unter großem Gelächter im Abspann senden. Plötzlich springt der 29jährige Jobatey wieder auf und flachst mit Kollegin Gundula Gause, die für Moderatorin Maybrit Illner die Urlaubsvertretung macht. Gerade noch rechtzeitig tänzelt Jobatey dann auf den zappelfreundlichen Sportschuhen, Marke „Nike Air“, vor die Kamera, um mal eben hastig die Presseschau anzukündigen. Dann wieder Kichern und Scherzen, bis der nächste Beitrag drankommt. Aufhören? Die ZDF-Moderatoren denken gar nicht dran: „Warum, das bringt doch Spaß“, sagt der haarzopftragende Jobatey, den der Berliner Tagesspiegel zum „Hüpf- Cherno“ gekürt hat.

Größer könnte der atmosphärische Gegensatz zwischen den beiden öffentlich-rechtlichen Morgenmagazinen kaum sein. Gemeinsam jedoch machen sie seit dem 13. Juli 1992 den Privaten Konkurrenz – und das erfolgreich: Von den insgesamt 4,5 Millionen BundesbürgerInnen, die morgens für durchschnittlich 30 Minuten einschalten, entscheidet sich fast die Hälfte für die erste Reihe; und in die zieht die ARD wiederum etwa ein Fünftel mehr Zuschauer als das ZDF. „Aber wir sehen uns natürlich als Verbündete gegen die Privaten“, versichert die diensttuende ZDF-Sendeleiterin. Jobatey ist da weniger diplomatisch: „Wir sind knallharte Konkurrenten.“

Diesen heimlichen Konkurrenzkampf hat die ARD – nicht ohne Grund – verloren. Die ARDler machen's sich freiwillig schwer: Anders als ihre Kollegen vom ZDF arbeiten Julitta Münch und Jürgen Drensek ohne sogenannten Teleprompter, der den Text der Moderationen in eine vor die Kameralinse aufmontierte Glasscheibe hineinspiegelt – ein in der deutschen TV-Landschaft einzigartiger, fast anachronistischer Verzicht. „Die Zuschauer wollen zwei Menschen und nicht zwei Roboter“, erklärt Drensek das Konzept, mit dem sich Redaktionsleiter Johannes Kaul nur mühsam gegen die WDR-Chefetage durchsetzen konnte. Die Moderation erscheint bei der ARD oftmals weniger makellos als beim ZDF, „aber dafür natürlicher“, erklärt Julitta Münch. Zum Witzeln oder Entspannen während der Live-Sendung bleibt so fast keine Zeit.

„Das ist natürlich auch eine Generationsfrage“, sagt Cherno Jobatey über das eher altmodische Verfahren der Konkurrenz – ein dezenter Hinweis darauf, daß die ARD-Redaktion im Altersdurchschnitt um schätzungsweise zehn Jahre über dem der ZDF-Morgencrew liegt. So rückt Jobatey die unsichtbaren Knopf-Lautsprecher im Ohr der ARD-Kollegen maliziös in die Nähe von Gehörhilfen: „Die haben so was eben nötig.“

Die Polemik ist indes so unfundiert wie manch allzu saloppe Moderation von „Hüpf-Cherno“. Tatsächlich haben nämlich die ARD- Moderatoren den kleinen Mann im Ohr gerade nicht nötig. Denn weil Drensek/Münch durch die Arbeit ohne Teleprompter im freien Sprechen geübt sind, improvisieren sie sicherer und schneller als ihre ZDF-Kollegen – ein Unterschied, der sich besonders bei Interviews bemerkbar macht. „Und der Knopf im Ohr dient der Aktualität“, erklärt Julitta Münch. „So kann die Sendung noch während der Moderation verändert werden, ohne daß der Zuschauer was mitbekommt.“ Um möglichst aktuell zu sein, steht der Ablauf des ARD- Morgenmagazins erst um 22 Uhr 30 fest – zwei Stunden später als beim ZDF. Dessen Moderatoren erscheinen relativ ausgeschlafen zwischen drei und vier Uhr morgens in der Redaktion; weil sich die ARD-Kollegen wegen des späten Redaktionsschlusses nicht schon im Hotel vorbereiten können, müssen sie dagegen bereits um Mitternacht die geplanten Beiträge ansehen, um dann ihre Moderationen zu schreiben. Streß, der journalistische Qualität bringt.

Trotz ihrer beruhigenden Position als Marktführer gehen auch die Kölner mit den Konkurrenten aus Berlin nicht immer gerade höflich um. Da ist dann schon mal etwas unsouverän von „Cherno-byl, dem Moderatoren-GAU“ die Rede. Fest steht allerdings, daß das lockere ZDF-Morgenmagazin mit dem Duo Cherno/Illner bei den jungen Zuschauern besser ankommt als die ARD-Show mit ihrem „Tagesthemen“-Touch. Die Seriosität ist bei Drensek indes Journalisten-Ethos: „Ich kann doch nicht erst herumblödeln und dann die Moderation über tote Kinder in Sarajevo herunterleiern. Dann nehme ich den Zuschauer nicht ernst.“

Das ARD-Magazin, so tratschen Bonner Korrespondentenkreise, werde von den Politikern weitaus mehr geschätzt – wegen seiner größeren Professionalität und politischen Kompetenz – Pluspunkte, die auch die ZuschauerInnen dem Ersten in einer Emnid- Untersuchung gegeben haben.

Vergangenheit ist das Gejammere der Kulturpessimisten und Fernsehkritiker, die mit dem Morgenmagazin anfangs den Untergang der abendländischen Kultur heraufbeschworen. Und Vergangenheit ist auch das Gezeter von CDU-Politikern, die das öffentlich-rechtliche Frühstücksfernsehen eine Zeitlang am liebsten abgeschafft hätten. So ist etwa für Heiner Geißler das frühe Fernsehen ein Muß, seit er mit dem Gleitdrachen abstürzte und danach im Krankenbett auf den Geschmack kam... Tristan Welmer

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