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Von letzten BüchernVergiftungsgeruch! Tierische Lesermassen!

■ Verliehen: Bremer Literaturpreis 1994 / Verlogen: der Literaturbetrieb / Verpulvert: der Boris Becker der Schweizerliteratur

So soll es sein: die Staatsmacht staatstragend, die Lobredner selber Genies und die Preisträger Trotzköpfchen. Gestern mittag verlieh Bremen im Rathaus vor 400 Gästen seinen Literaturpreis 1994 an den ehemaligen DDR- Bürger Wolfgang Hilbig und den Schweizerbürger Peter Weber (Förderpreis).

Kultursenatorin Helga Trüpel holte anläßlich der ruhmreichen und nunmehr 40-jährigen Geschichte des Preises ein wenig aus zum Thema „Demokratie“: Als beste aller Staatsformen sei sie stets gefährdet. Die Bedrohung komme stets von rechts und links. Beweis: antidemokratische Momente in Teilen der Studentenbewegung, ja: Gegenwartsverachtung bestimmter linker Gruppen. Wolfgang Hilbigs Studie führe zu einer Kernfrage der Neuen Demokratie, zur alten Frage des Umgangs mit Tätern und Opfern.

Hilbig-Preisredner Rolf Michaelis sprach es offen aus: Den Bremer Preis gebe es zum höheren Ruhm der Demokratie und für Treue zur Demokratie (gegen die Radikalen von rechts und links). Wortgewaltig lobte Michaelis, wie sich der Autor in seinem Opus „Ich“ durch einen Akt schreiender Brutalität in zwei Wesen zerhackt. Der Stasiroman sei voller Sprachkraft, politischer Bedeutung und melancholischem Witz.

Hilbig selbst ist ein kleiner, grauhaariger Mann, der dem versammelten Literaturbetrieb entgegenschleuderte: Der Literaturbetrieb verhalte sich exakt wie die Stasi: Wortbruch, Urteilsfällung, Schnüffeln an den Fortpflanzungsorganen der Mitbürger, Gerüchtestreuen, im richtigen Moment zuschnappen. Windelweiche Moral! Vergiftungsgeruch! Herzlichen Dank für den Preis! Der versammelte Literaturbetrieb lachte und klatschte, aber verhalten.

Sybille Cramer gestaltete ihre Rede auf den Förderpreisträger Peter Weber sprachlich kongenial und als kunstreiche Petitesse, um in der niederschmetternden Metapher vom letzten Buch zu münden; der Erstling „Wettermacher“ sei ein auftaktiger Schlußakkord der Literatur des Partikularen. Und siehe: Weber selbst, ein Sympathling eo ipso und blutjung, wirkte tatsächlich, als habe er sein letztes Buch geschrieben. Sucht sah ihm beim Danksagen aus den Augen. Auch er also ein Opfer des Literaturbetriebes? Paradoxerweise ja, weil er ein Profiteur desselben sei, was süchtig mache. Webers Buch wurde von den Feuilletons dermaßen hochgeschossen, daß der „Star, das Junggenie“ nicht nachkam. Seit September ist Peter Weber, genannt der „Boris Becker der Schweizerliteratur“, ununterbrochen auf Lesereise. Jetzt sucht er nach einer Waffe im Ringen mit der unliterarischen, unheimlichen, tierischen Lesermasse. Er denkt über Sarkasmus nach. Und bewundert Hilbich. „Dessen Schrittmaß hat sich nicht geändert.“ Viel Beifall.

Burkhard Straßmann

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