: Exotisch wie Azteken
■ Die 8. Tage der Jiddischen Kultur im Kulturzentrum Ernst-Thälmann-Park
„Deutsch ist doch eigentlich nur ein Dialekt der jiddischen Sprache“, erklärten Trissy Abramovici und Bebe Bercovici Anfang dieser Woche, bevor sie ihr musikalisches Kabarettprogramm „Die Welt ist ein Theater“ präsentierten: Theatersketche und Gesangseinlagen, alles in jiddischer Sprache. Es war, als seien die Bilder Marc Chagalls lebendig geworden — einer der Höhepunkte der gerade im Kulturzentrum am Thälmann-Park stattfindenden 8. Tage der Jiddischen Kultur.
Jiddisch war über Jahrzehnte die Sprache der osteuropäischen Juden, ein mittelhochdeutscher Dialekt, der sich mit vielen slawischen und hebräischen Sprachbrocken zu einer barocken Wortfülle vermischt hatte — heute eine sterbende Sprache, die nur noch von wenigen gesprochen wird. „Das ist es gerade, was uns ursprünglich motivierte, diese Tage ins Leben zu rufen“, erklärt Frau Düsterhöf vom Bezirksamt Prenzlauer Berg. „Wir wollten von Anfang an keine Denkmale, sondern den Kontakt zu Menschen herstellen, die noch leben. Musik verbinden mit Literatur und der Geschichte, die dazugehört.“ Zur Zeit des realen Sozialismus hatte man hart um diese Nische im Kulturbetrieb gekämpft. Mit viel Idealismus wurde jedes Jahr ein kleines Programm organisiert, und so soll es auch bleiben. „Wir wollen keine große Show organisieren und sehen uns auch nicht in Konkurrenz zu den im Westen organisierten Tagen der Jüdischen Kultur“, betont Organisatorin Düsterhöf.
Schwerpunkt in diesem Jahr ist Rumänien. Nach Polen und der ehemaligen Sowjetunion das drittgrößte Zentrum jiddischer Kultur in Osteuropa. In den letzten Jahrhunderten war es der vielsprachige Schmelztiegel aus Expressionismus, pulsierender Weltöffentlichkeit und jüdischer Moderne. Hier wurde vor 200 Jahren das erste jüdische Berufstheater der Welt gegründet. Hier entstand der Chassidismus, der sich später zu einer jiddischen Nationalbewegung entwickelte. Eine spezifisch deutsch- jüdische Kultur entwickelte sich, man sprach Deutsch an den Universitäten, und 50 Prozent der Studenten waren jüdischen Glaubens. Noch Anfang dieses Jahrhunderts blühte diese deutsch-jüdische Kultur. Aber heute, so stellte das Begleitheft zu den diesjährigen Kulturtagen resignierend fest: „...weiß man darüber in Deutschland fast genausowenig wie über die Azteken oder die Etrusker.“
Vor dem Krieg lebte fast eine Million Juden in Rumänien. Jetzt zählt man noch knapp 10.000. Die Fotos des Amerikaners Laurence Salzmann aus Rumänien, die er in den achtziger Jahren machte und die im Kulturhaus ausgestellt sind, zeigen eine Kultur, die fast verloren ist. Es gibt zwar auch heute noch ein jüdisches Theater in Bukarest, aber die Mehrzahl der Schauspieler sind heute selbst keine Juden mehr. Die Reiseroute, die der Oberrabbiner jedes Jahr zurücklegen muß, um die noch bestehenden Gemeinden Rumäniens zu besuchen, wird immer kürzer.
Die Tradition der jiddischen Kultur ist von der deutschen nicht zu trennen. Man sollte glauben, daß ein solches Projekt von den offiziellen Kulturverwaltern der Stadt gebührend unterstützt würde. Weit gefehlt. „Zu DDR- Zeiten war es eher ein Vorteil für uns, daß wir in keine der Schubladen reinpaßten, aber jetzt wird das für uns zum Nachteil, da sich niemand im Senat als zuständig ansieht und uns Fördermittel gibt“, klagt Frau Düsterhöf. Zuerst, so berichtet sie, sei ihr Antrag bei der Senatsabteilung für Kirchenfragen gelandet, und als die Organisatoren dies monierten, wurde man den „Ausländer-Kulturprojekten“ zugeordnet. Auch das empfindet man eigentlich als unangemessen, schließlich würde das doch nur wieder unterstreichen, daß man Jüdisches in diesem Land als etwas Ausländisches sehe.
Heute abend um 20 Uhr kann man einen amerikanischen Dokumentarfilm über das Revival der jiddischen Klezmer-Musik sehen. Morgen abend zur gleichen Zeit gibt es dann einen Klezmer-Tanzabend mit der Gruppe Brave Old World, die schon bei den Jüdischen Kulturtagen in Westberlin große Erfolge feiern konnte. Am Sonntag abend werden die Kulturtage durch ein weiteres Konzert beendet. Die Fotoausstellung ist noch bis zum 13. Februar zu sehen. Dieter Wulf
Kulturzentrum im Ernst-Thälmann-Park, Dimitroffstraße 101, Prenzlauer Berg.
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