: Parlament tagt, Taxistas streiken
■ Festnahmen und Polizeieinsätze gegen Streikende in Nicaragua / Das Parlament ist wieder vollständig
Managua (taz) – Kaum aus dem Silvesterkater erwacht, wurden die Kummer gewöhnten Nicaraguaner mit der bevorstehenden Erhöhung der Wassergebühren, neuen Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und einer saftigen Benzinpreissteigerung konfrontiert. Nachdem die Drohungen der Busunternehmen und Taxikooperativen bei Transportminister Pablo Vigil auf taube Ohren gestoßen waren, begann am Montag um null Uhr ein unbefristeter Transportstreik. Auf den Straßen Managuas verkehren neben Privatfahrzeugen nur mehr die Taxis der nicht legal registrierten „Genossenschaft Kardinal Obando y Bravo“, denn der katholische Oberhirte hat in seiner Sonntagspredigt vom Streik abgeraten. Nach zunächst friedlichem Beginn hat sich die Lage am Mittwoch verschärft, als die Verhandlungen zwischen Streikenden und Regierung gescheitert waren. In der Hauptstadt Managua versucht ein starkes Polizeiaufgebot zu verhindern, daß Streikende Barrikaden errichten. Dabei wurden am Mittwoch etwa 300 Personen festgenommen. Die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) hat die Regierung aufgefordert, die Gespräche mit den Streikenden wieder aufzunehmen und die Festgenommenen auf freien Fuß zu setzen. In der Stadt Esteli soll der Verkehr durch Barrikaden weitgehend blockiert sein.
Nach dem gewalttätigen Transportstreik im vergangenen September hatten viele Angst vor neuen Ausschreitungen. Damals wurden überall in Managua Barrikaden errichtet. Als die Polizei mit Tränengas gegen die Streikenden vorging, verteidigten die sich stellenweise mit scharfer Munition. Zwei Menschen kamen damals ums Leben.
In endlosen Verhandlungen konnten damals die in der Nationalen Transportkommission zusammengeschlossenen Genossenschaften und Unternehmen der Regierung die Zurücknahme einer neuen Autosteuer und die Einfrierung des gerade erhöhten Benzinpreises bis Jahresende abringen. Daß die Treibstoffpreise jetzt am 1. Januar um 10 Prozent angehoben wurden, verstößt zwar nicht gegen das Abkommen, ist aber nicht durch höhere Importkosten zu rechtfertigen. Denn der Erdölpreis ist seither stärker gesunken als der Kurs des Córdoba gegenüber dem Dollar. Trotz niedrigen Lohnniveaus hat Nicaragua deutlich höhere Benzinpreise als alle anderen zentralamerikanischen Staaten. Und selbst die konservative La Prensa, die der Familie von Präsidentin Chamorro gehört, legte am Dienstag offen, daß von den Benzinkosten mehr als 52 Prozent auf die Steuer entfallen und weitere fünf Prozent auf die Bürokratie. Diesel, mit dem die Busse und Lastwagen betrieben werden, ist deutlich billiger und auch im regionalen Vergleich nicht übertrieben teuer. Daher sind es vor allem die Taxifahrer, die dem Minister Dampf machen wollen.
Die Regierung, die demnächst ein Abkommen mit dem Weltwährungsfonds unterzeichnen muß, das weitere Austeritätsmaßnahmen fordert, steht vor einem unlösbaren Dilemma und bietet Verhandlungen an, ohne gleichzeitig Kompromißbereitschaft zu zeigen. Ihr jüngstes Angebot, die Benzinpreise erneut bis April einzufrieren, lehnen die Streikenden ab.
Gleichzeitig zeichnet sich aber am politischen Horizont ein Ende der extremen Polarisierung ab. Nach fast anderthalb Jahren gegenseitigen Boykotts der verschiedenen Parlamentsfraktionen hat am Dienstag wieder eine voll beschlußfähige Nationalversammlung ihre legislative Tätigkeit aufgenommen. In einem Akt von politischem Realismus einigten sich Ende November die wichtigsten Repräsentanten der UNO-Koalition mit den Sandinisten auf eine Reihe von Verfassungsänderungen, die das während der Revolutionsdekade verfaßte Grundgesetz der neuen Zeit anpassen. Von der Nichtwiederwahl des Präsidenten über die Umbenennung der Sandinistischen Armee bis zur Beseitigung wirtschaftshemmender Bestimmungen reicht die Palette der Reformen, die im nächsten Quartal über die parlamentarische Bühne gehen sollen. Jene Abgeordneten der „Nationalen Oppositionsunion“ (UNO), die ein Jahr lang die Abstimmungen boykottiert hatten, weil ihr Kandidat letztes Jahr nicht zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde, kehren jetzt wieder ins Hohe Haus zurück, um die Reformen beschließen zu können. Der moderate Christdemokrat Luis Humberto Guzman wurde, als Ergebnis des Deals, endlich Parlamentspräsident.
Nur ein harter Kern um den ehemaligen Contra-Chef und späteren Parlamentspräsidenten Alfredo Cesar verweigert sich dem Kompromiß und beharrt auf der Forderung nach einer Verfassunggebenden Nationalversammlung, die alle Überreste des sandinistischen Gedankenguts aus dem Grundgesetz tilgen soll. Die Einberufung einer solchen Constituyente ist aber ohne die Zustimmung der sandinistischen Sperrminorität im Parlament nicht möglich. So versuchten Cesar und Co., über Volksmobilisierungen und Unterschriftensammlungen Druck zu machen. Nachdem auch diese Initiative kläglich scheiterte, gedachte Cesar nach bester Tradition europäischer K-Gruppen der siebziger Jahre, die „Verräter“ aus seiner Sozialdemokratischen Partei auszuschließen. Doch während er das in einer Pressekonferenz ankündigte, wurde er selbst samt seinem treuen Gefolgsmann Guillermo Potoy von einer Mehrheit des Exekutivkomitees von seiner Verantwortung in der Partei suspendiert.
Extremisten haben keine gute Konjunktur mehr. Selbst Armeechef Humberto Ortega streckte vor ein paar Tagen einem seiner Erzfeinde, dem konservativen Dichter Pablo Antonio Cuadra, die Hand entgegen und regte die Schaffung eines „Forums der Reflexion“ an, um die Spannungen auf dem Land abzubauen.
Zwischen den beiden war es im Dezember zum Zusammenstoß gekommen, als Cuadra in einem Kommentar der Zeitung La Prensa die Armee beschuldigte, im Oktober ein Bauerndorf bombardiert und dabei zahlreiche Zivilisten getötet zu haben. Wie sich später bei einem Lokaltermin erwies, hatte die Armee auf vermeintliche Stellungen der rechtsgerichteten „Recontras“ auf einem Hügel Raketen abgefeuert. Im benachbarten Dorf war Panik ausgebrochen, doch Zivilisten kamen, wie auch La Prensa zugeben mußte, nicht zu Schaden. Das Forum, so der General, solle zur Konsolidierung des Friedensprozesses beitragen, „denn ohne Frieden wird es weder Investitionen noch Produktion geben und daher auch keine Arbeit und keine Lösung des großen Elends“. Ralf Leonhard
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