: Blau geht auf die Reise
■ Ehemalige PsychiatriepatientInnen schwimmen gegen den Ausgrenzungsstrom der Zeit von Leipzig nach Bremen / Proviant wird schon gepackt die Reise im Wüstennarrenschiff
Die Blaumeiers reißen schon wieder den Himmel auf. Auf Erden planen, zeichnen und sägen deshalb die Handwerker der Aucoop. In der Werft auf dem ehemaligen Vulkangelände in Vegesack erhält die neueste Blaumeiersche Vision bereits ihre Form – als Kamel. Die paßt zum Namen des Gefährts: Im „Wüstennarrenschiff“ wollen ehemalige PsychiatriepatientInnen und deren UnterstützerInnen durch die deutsche „Wüste“ ziehen.
Alle Grenzen soll das Schiff überwinden können; Grenzen zwischen Menschen – und Grenzen im Kopf. „Denn die sind enger gezogen worden“, sagt Helmut Herzog, Psychologe und Geschäftsführer der „Initiative zur Sozialen Rehabilitation und Vorbeugung psychischer Erkrankungen“. Kranke werden zunehmend ausgegrenzt, Ländergrenzen dichtgemacht.
Dagegen soll die blaue Sehnsucht wirken, die die Karawane mit der Begegnung zwischen Menschen wecken will. In den Träumen von einem schöneren Leben sollenNormengrenzen ausfransen dürfen und Menschen diesseits und jenseits von „Normalität“ geschätzt werden.
In Bremen, dem Nabel des Wüstenbauchs, legte die Unternehmung am Freitag abend ihren feierlichen Grundstein, was in der Schiffbauersprache allerdings „Kiellegung“ heißt. Feierlich und mit viel Blau im Sekt wurde auf der Aucoop- Werft zweihunderthändig Applaus vergossen, als das hölzerne Gerüst eines Kamels, drei Meter, vor einem Höckergraffiti eine kleine Vorstellung davon gab, wie es später aussehen würde. Das war der erste von mehreren Akten – und natürlich keine gewöhnliche Kiellegung. Aber: „Unter Narren mußt Du das ja erwarten“, raunte es wohlwissend und einverstanden im Publikum.
„Stapellauf“ heißt im April die nächste Etappe des Projektes. Die Fahrt wird nach Bremen gehen. Und wenn das Wüstenschiff bei der Stadt anlegt und zum Dom spaziert, ist die Öffentlichkeit eingeladen – schon um zuzuschauen, wie ein närrisches Schiff zu Fuß durch die Stadt schaukelt. Denn das Wüstennarrenschiff hat es in sich: Wenn es erst fertig erbaut ist, können nämlich mindestens zwölf Leute die Last des närrischen Kamelleibens auf die eigene Schulter satteln und vom Katamaran steigen. Dann wird das Kamel sich unter die Leute mischen. Von ihm werden Aktionen und Gespräche „gegen die Strömung von Ausgrenzung“ veranstaltet, die in den Städten herrscht. „Gegen Ausgrenzung, Ignoranz, Vorurteile und Gewalt gegen Minderheiten“ wird die Karawane symbolisch anziehen, so lautete am Freitag abend die Botschaft.
Es ist die zweite Karawane, die die Blaumeiers mit dem Wüstennarrenschiff ins Leben rufen. Bereits 1985 begaben die SucherInnen sich auf die Reise. Sie führte nach Italien – in die Heimat der Psychiatriereform. Der Ruf nach einer Gesellschaft ohne Irrenhäuser und Lager begleitete damals den Zug und wurde vor allem an den Toren und Mauern der psychiatrischen Anstalten laut.
In diesem Sommer wird die Karawane ihre Lager direkt in den Städten aufschlagen und zu den Menschen selbst gehen, die täglich unsichtbare Mauern errichten. „Mit Kreativität wollen wir das Karawanenabenteuer gegen den Wahn in Szene setzen, das Leben trage nur schwarz, rot, gelb und grün“, so malt die Projektgruppe ihre Idee aus. Blau geht auf die Reise. Nach Leipzig liegen Torgau, Wittenberg, Magdeburg, Hannover und Minden auf der Route. Bremen ist die letzte Station des Zuges gegen die Zeit, zu Wasser und zu Lande.
Trotz aller Landläufigkeit wurde bei der Kiellegung eine Suchmeldung aufgegeben: Nach „flüssigen“ Leuten. 60.000 Mark wird das Projekt sicher kosten, für das keine öffentlichen Gelder erwartet werden. „Wir müssen uns auf Sponsoren verlassen“, erklärt Helmut Herzog und will dabei nicht ausschließen, daß er wohl verrückt sein müsse. Eva Rhode
Info: Blaue Karawane im Blauen Haus, Waller Ring 111, Tel. 0421- 3809844
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