: Schlangen lieben Striptease
■ Gesichter der Großstadt: Klaus Dedekind ist seit 32 Jahren Pfleger der Schlangenfarm des Tierparks / Geplantem Ausverkauf an den Westzoo getrotzt
Vorsichtig hebt der Schlangenpfleger Klaus Dedekind die Kettenbullen-Natter aus dem gläsernen Käfig und legt sich das Tier über die Schultern. Die aus dem Schlaf gerissene Natter züngelt wie wild und ringelt sich um den Hals des Pflegers. Der Druck des aalglatten Leibes wird fest und fester. Plötzlich läuft das Gesicht von Klaus Dedekind rot an. Der bleibt zunächst ganz ruhig und bittet seine etwas abseits stehende Arbeitskollegin: „Steffi, locker mal.“ Doch Steffi unterhält sich gerade. „Mensch Steffi, locker mal, ich krieg' keine Luft“, wird Dedekind nun doch etwas panisch. Aber kaum, daß er wieder frei atmen kann, flaxt er albern: „Ich habe eine gute Versicherung.“
Es ist noch gar nicht lange her, da brauten sich über der Schlangenfarm des Tierparks dunkle Gewitterwolken zusammen: Im vergangenen Herbst, als der gemeinsame Aufsichtsrat des Westberliner Zoos und Ostberliner Tierparks die Schließung der Schlangenfarm verkündet hatte. Die Tiere sollten aus Spargründen in den Westzoo überführt werden. Womit der seinerzeit ausschließlich mit „Wessis“ besetzte Aufsichtsrat nicht gerechnet hatte: Die Mitarbeiter des Tierparks und der Betriebsrat spielten nicht mit. Sie waren davon überzeugt, daß der Tierpark scheibchenweise abgewickelt werden sollte. Der Westzoo, so die Befürchtung, picke sich die attraktivsten Tiere raus. Die Schlangenfarm ist ein Kleinod des Tierparks, weil es dort gelungen ist, Giftschlangen nachzuzüchten. Darunter die Kobra, die grüne Mamba und die Klapperschlage.
Allen voran gingen der 52jährige Leiter der Schlangenfarm, Klaus Dedekind, und dessen liebste Kollegin Steffi Igiel auf die Barrikaden. Auch als ihm das Angebot unterbreitet wurde, Chef der Reptilien-Abteilung im Westberliner Aquarium zu werden, blieb Dedekind stur. „Lieber reiße ich hier Karten ab, als mich vom Westen kaufen zu lassen.“ Die Hiobsbotschaft zog weite Kreise, und Tausende Protestbriefe sorgten dafür, daß der Aufsichtsrat seinen Beschluß revidierte.
Dem annähernd 1,90 Meter großen, hageren Klaus Dedekind kommen heute noch die Tränen, wenn er über diese Zeit spricht. „Wir hatten damals nur zwei bis drei Prozent Hoffnung“, gibt er zu. Den Vergleich mit den Kumpel in Bischofferode läßt er sich gern gefallen. „Ich habe selbst mal als Schüler ein paar Jahre in Bischofferrode gelebt“, lacht er. Sein Vater sei damals Direktor des Kaliwerkes gewesen.
Der in Sachsen-Anhalt geborene Mann sagt, die Liebe zu den Reptilien sei ihm in die Wiege gelegt worden. 1959 machte er in Erfurt seine Ausbildung zum Zootierpfleger und trat 1962 im Tierpark eine Stelle im Schlangenhaus an. Sein damaliger Chef, der legendäre Herpetologe „Vater (Fritz) Krause“, wurde sein Vorbild. Als der 64jährige Krause 1970 verunglückte, folgte ihm Dedekind als Leiter der Schlangenfarm nach. Der jugendlich wirkende Mann ist verheiratet und bereits Großvater. Seine Frau arbeitet im Tierpark als Vogelpflegerin. Auf die Feststellung, daß er „nie in der Partei“ war, legt er großen Wert. Er sei „immer westlich eingestellt“ gewesen und gehöre auch jetzt nicht zu denen, die die DDR wiederhaben wollten. Aber eines schmerze ihn zutiefst: „Wir haben früher zusammengehalten, wenn es uns dreckig ging. Es ist erschreckend, wie diese Menschlichkeit verlorengeht.“
Kot rausnehmen, Scheiben putzen, Eier im Brutkasten kontrollieren, Füttern und vieles mehr bestimmen den Arbeitstag eines Schlangenpflegers. Viele Schlangen fressen Mäuse, die kleinen frischgeborenen Kids sind ein besonderer Leckerbissen. Bei Dedekind und seinen Kolleginnen werden die nackten Mäuschen kurz „Striptease“ genannt. Von einer Schlange gebissen worden ist der Chef der Schlangenfarm in seinen 32 Dienstjahren noch nicht. Glück gehabt? „Können“, rufen Steffi und seine anderen Kolleginnen im Chor.
Nachdem er sich einen weißen Kittel angezogen hat, demonstriert Dedekind für die taz, wie man einer Schlange das Gift für medizinische Zwecke abzapft. Mit einer Greifzange holt er eine mittelgroße Texasklapperschlange und fixiert das Tier mit einer Holzschiene auf einem Tisch. Dann packt er die Schlange mit der bloßen Hand direkt hinter dem Kopf. Mit der anderen hält er ihr ein Glas hin, das mit einer Plastefolie abgedeckt ist. Die Schlange haut ihre Zähne über den Glasrand in die Folie, während sie aufgebracht mit dem Schwanz klappert. Aus dem Maul rinnt zähflüssiges gelbes Gift. Auf Dedekind Stirn bilden sich kleine Schweißtröpfchen. Angstschweiß? Niemals! „Das ist die Konzentration“, behauptet er. Diesmal steht Steffi direkt neben ihm – für alle Fälle bereit. Plutonia Plarre
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