: Metaller bauen ab
■ In der Metall- und Elektrobranche werden Lehrstellen gestrichen / "Öffentliche Förderung fehlt"
Luis Sergio muß selbst kein düsteres Bild über Ausbildungsplätze in der Metall- und Elektrobranche heraufbeschwören. Auf dem Schreibtisch des IG-Metall-Sekretärs liegen die Zahlen der Jugendvertretungen der Unternehmen. Gerade in größeren Unternehmen wie Siemens wird gestrichen: Standen in der Zentralniederlassung des Konzerns 1992 noch 119 Lehrstellen zur Verfügung, sind in diesem Jahr noch 87 vorgesehen.
Trostlos sieht es auch bei kleineren Unternehmen aus, etwa beim renommierten Baumaschinenhersteller Orenstein-Koppel: Hier wurde die Zahl der Ausbildungsplätze innerhalb von zwei Jahren sogar halbiert.
Eine „der ersten Überlegungen bei Kosteneinsparungen betrifft stets den Ausbildungsbereich“, weiß Sergio aus Erfahrung zu berichten. Konzerne wie AEG, die in diesem Jahr ihre Auszubildenden nach dem Abschluß für zunächst sechs Monate übernehmen wollen, gehören zu den rühmlichen Ausnahmen, fallen aber kaum ins Gewicht. Nach Schätzungen der IG Metall werden derzeit rund 65 Prozent aller Lehrlinge in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin nicht übernommen. Gar nur 15 Prozent erhalten einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
Für Horst Jäckel, stellvertretender Vorsitzender des DGB in Berlin und Brandenburg, gibt es kaum Aussichten auf Besserung. Zwar ist die Zahl der betrieblichen Lehrstellen im vergangenen Jahr in Ostberlin insgesamt auf 2.202 gestiegen (1992: 2.107). Dafür verzeichnete der Westteil der Stadt jedoch einen Aderlaß von rund 1.300 Plätzen auf nunmehr rund 7.600.
Der Druck wird nicht nur durch die Zuwanderung aus Brandenburg und dem Ostteil stetig erhöht. Sorge bereitet den Verantwortlichen bei DGB, IHK und Handwerkskammer auch die demographische Entwicklung der Hauptstadt: In diesem Jahr werden rund acht Prozent mehr Jugendliche als im Vorjahr auf den Ausbildungssektor drängen. Allein die Zahl der Abiturienten wird mit rund 4.000 doppelt so hoch sein. „Davon suchen zwischen 25 und 30 Prozent eine Lehrstelle“, weiß Jäckel.
Ein Ausgleich für die gestrichenen Plätze in der Industrie ist nicht in Sicht. Auch das Handwerk kann nur bedingt eine Entlastung bringen. Immerhin konnte die Handwerkskammer mit rund 19.400 Lehrstellen im vergangenen Jahr eine leichte Steigerung (1992: 18.431) vermelden. Doch angesichts der großen Anstrengungen, besonders durch öffentliche Appelle, habe man insgesamt „mehr erwartet“, wie der Sprecher der Kammer, Christian Schmaling, erklärt. Severin Weiland
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