■ Press-Schlag: Sie wissen, was sie tun
Ulrike Maier raste die Kandahar-Abfahrt in Garmisch- Partenkirchen hinunter. Verkantete. Prallte auf eine Zeitmeßanlage. Stürzte von dort in eine Mulde. Schlug mit dem Kopf zuerst auf. „Halswirbelsäule und Arterien, die das Gehirn versorgen, wurden vom Kopf getrennt“, bilanzierte Professor Hofmann. Der österreichischen Rennläuferin brach die Tempojagd das Genick.
Tags drauf überschlägt sich die B.Z. am Sonntag in „Entsetzen, Tränen, Trauer!“ Bild am Sonntag beschreibt das „Drama“ lüstern anschaulich, bis der „Körper von Ulrike Maier wie ein Eishockeypuck über die Piste kreiselte“. Und die Welt am Sonntag“ bringt uns den verunglückten Menschen nahe: auf einem Vierfarbfoto herzt die 26jährige ihre Tochter (4). Sport ist Mord. Und alles ist „furchtbar“, „eine schreckliche Wahrheit“ und, wo die Adjektive ausgehen, ein „Horrorsturz“ (B.Z.). Die Geschichte muß, so suggerieren uns die gesammelten Printerzeugnisse, um so mehr auf die Tränendrüse drücken, als Ulrike Maier nur noch bis Februar ihrem Beruf nachgehen und im September heiraten wollte. Das ist traurig. Wohl wahr. Sie ist die erste Frau, die in der Ausübung ihres Sports starb. Seit 1959 verunglückten 17 Männer. Aber Betroffenheitslyrik ist fehl am Platz. Denn Rennläufer (inklusive -innen) wissen, was sie tun. Als es Michaela Gerg in Cortina vor einem Jahr die Skier auseinanderriß und dabei das Kreuzband, meinte die Lengrieserin lakonisch: „Spitzengeschwindigkeiten um 130 Stundenkilometer hält ein Frauenkörper nicht mehr aus.“ Und fuhr, kaum genesen, weiter. Ebenso ließ sich Franz Klammer nicht davon schrecken, daß sein Bruder an den Rollstuhl gefesselt ist, seit er auf der Piste die Kontrolle verloren hatte. Klammers Motto ist die Weisheit aller Halbstarken: „Mir soll keiner sagen, ich hätte die Hosen voll gehabt.“ Es ist die Philosophie jener, die sich auf der Suche nach der verlorenen Zeit ins selbstgewählte Risiko stürzen.
Aus den Toten lernen vielleicht die Veranstalter. Die Sicherheitsstandards werden besser. Aber wenn FahrerInnen aus eigener Erfahrung ihrer schweren Stürze nicht lernen, dann muß man nicht weinen. Sie wissen ja, was sie tun: Als Ulrike Maier 1989 Weltmeisterin wurde, hatte sie ihre Schwangerschaft nicht davon abgehalten, die Hatz nach Hundertsteln aufzunehmen. Katja Seizinger ist es zu verdanken, daß in Norwegen die Damen auf der Herrenabfahrt ins Tal rasen werden. Die Damen- Olympia-Strecke wurde als zu leicht befunden. „Selektiv“ müsse die Piste schon sein. Bitte schön, die Spreu solle sich vom Weizen trennen. Wer Pisten-Darwinismus fordert, fährt sehenden Auges in die tödliche Raserei auf Schnee. Was anderes ist es, wenn einem, so wie dem Schriftsteller Horvath, ein Ast auf den Kopf fällt. Wir versichern ihm unsere vollste Betroffenheit. coh
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