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Grüne in NRW auf neuem Kurs

Realos und moderate Linke dominieren die Bundestagsliste der nordrhein-westfälischen Bündnisgrünen / Strukturelle Mehrheit der Parteilinken schwindet / Nickels und Volmer vorn  ■ Aus Aachen Walter Jakobs

In einem spannungsgeladenen Wahlakt haben die nordrhein- westfälischen Grünen am Wochenende ihre Bundestagsabgeordneten nominiert. Die frühere Abgeordnete Christa Nickels führt die Liste an. Die 41jährige Krankenschwester aus Heinsberg setzte sich mit klarer Mehrheit gegen die von den Parteilinken favorisierte Landesvorstandssprecherin Kerstin Müller durch. Mit Unterstützung der Realos schaffte die langjährige Parteisprecherin Müller, die zu den eher moderaten Linken im Landesverband zählt, dann den Sprung auf Platz drei. Souverän fiel der Wahlsieg für Bundesvorstandssprecher Ludger Volmer aus. Volmer, dessen konstruktive Rolle im Vereinigungsprozeß mit Bündnis 90 von breiten Kreisen in der Partei anerkannt wird, kann inzwischen auch auf die Unterstützung vieler Realos in NRW bauen. In Aachen warb er dafür, der SPD, die mit Scharping im Zweifelsfall „eine große Koalition machen wird“, dennoch „ein Angebot mit Augenmaß zu machen“. Volmer wörtlich: „Wenn Scharping sich dabei nicht flexibler als Voscherau zeigt, wird es auch zu einem ähnlichen Ergebnis wie in Hamburg kommen.“

Prägend für den Aachener Parteitag erwies sich der Kampf um Platz vier. Hierbei setzte sich der langjährige Vorstandssprecher und Realo Wolfgang Schmitt überraschend deutlich gegen den Wortführer der Linken, Roland Appel, durch. 148 der 266 Delegierten votierten für Schmitt, 103 für Appel, der für die Grünen im Düsseldorfer Landtag sitzt. Auch Appels Versuch, den immer noch aussichtsreichen Platz acht zu erobern, ging schief. Sein Gegenkandidat, der auf Landesebene weitgehend unbekannte Münsteraner Lehrer Winni Nachtwei erzielte fast den gleichen Vorsprung wie Schmitt. Mit Nachtwei zieht, so die Wähler mitspielen, ein Friedensaktivist und engagierter Förderer des Ost-West-Dialogs in den Bundestag ein, der durch seine theoretische Klarheit und verbindliche persönliche Art überzeugte. Gegen die realpolitisch orientierte Konkurrenz gewann die linke Feministin Irmingard Schewe-Gerigk überraschend klar Platz fünf. Platz sechs fiel an Manfred Such, der als Nachrücker schon einmal für 22 Monate dem Bundestag angehörte. Such, von Beruf Kriminalhauptkommissar und einst Sprecher der Gruppe „Kritische Polizisten“, hat sich im Kampf um eine „bürgerfreundliche Polizei“ bundesweit einen Namen gemacht. Deutlich fiel das Ergebnis auch für die von den Linken unterstützte Simone Probst bei der Besetzung von Platz sieben aus. Die 26jährige Diplomphysikern ist auf Landesebene eine absolute Newcomerin und bestach in Aachen durch Kompetenz und jugendlichen Elan. Mit der langjährigen Ökologiereferentin des Bundesvorstands, Michaele Hustedt, setzte sich auf Platz neun eine Reala durch, deren ökologische Kompetenz unumstritten ist. Volker Beck, Sprecher des Schwulenverbandes in Deutschland und im Lande zu den moderaten Linken zählend, eroberte Platz zehn. Sollte die Partei um die 7,5 Prozent in NRW erzielen, gewährt dieser Platz aller Voraussicht nach noch ein sicheres Ticket für Bonn. Die aus dem Zentrum des linken Forums kommende Bielefelderin Annelie Buntenbach belegt Platz elf.

Die Realos, die im Vorfeld des Parteitages einen linken Durchmarsch befürchtet hatten, nahmen die Wahlergebnisse mit Genugtuung zur Kenntnis. Die ersten zehn Plätze signalisierten, so ein führender Kopf aus der Düsseldorfer Landtagsfraktion, daß die „strukturelle Blockademehrheit der Linken endlich auch in NRW schwindet“.

Siehe Kommentar Seite 10

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