Haben Sie denn nun bestellt?

■ Wie wir Gestrauchelten helfen und nebenbei auch noch etwas für menschenfreundliche Verlage tun können - ganz seriös, versteht sich

Diese Woche zur Tagesschau- Zeit. Es klingelt in gutbürgerlicher Wohnlage. Ein junger Mann steht vor der Tür, kreuzt seine Arme, um zuvorkommend darzulegen: „Keine Angst. Ich will Ihnen nichts verkaufen.“ Sein Gegenüber wittert das Gegenteil und äußert Skepsis. Der junge Mann schildert seine Lage: Im Knast habe er gesessen, aus Not dorthin gekommen, und er wolle nicht wieder in der Gosse landen, sondern sich eine Existenz aufbauen. Nach 20 vergeblichen Bewerbungen habe er einen verständnisvollen Unternehmer gefunden, der ihm ein Obdach besorgte und ihn einkleidete.

Und damit ihm weiterhin Herberge und wärmendes Tuch gewährleistet blieben, möge man ihm doch herzlich mit der Bestellung einer Zeitschrift oder einer Zeitung helfen. Seine Liste mit Titeln aus großen Verlagshäusern biete allen etwas – ob Hör zu, Spiegel, Zeit oder Stern: bitte bei ihm bestellen. 50 Abonnements müsse er besorgen, und die Verlage hätten im ersten Bezugsjahr rein gar nichts davon. Und sein Chef auch nicht, weil der ihm dafür ja Wohnstatt und Kleidung stellt.

„Bitte helfen Sie mir!“, fleht der junge Mann und nennt auf Befragen seinen Wohltäter: Dieter Berchtold, laut Branchenbuch Inhaber der Harburger „PVB Pressevertriebszentrale“. Der um Hilfe gebetene Wohnungsinhaber wehrt freundlich, aber bestimmt ab: Nein, prinzipiell würde er kein Abo ordern, ein paar Mark allerdings täte er dem jungen Mann schon geben wollen. „Ich darf das verbotenerweise nicht annehmen,“ wehrt der entschieden ab, und es folgen nochmals seine Geschichte und der Vorschlag: „Wenn Sie persönlich kein Abo wollen, schenken Sie es einem Altenheim. Es geht überhaupt nicht um die Bestellung, es geht darum, daß Sie mir helfen.“

Nach der abermaligen Erkenntnis, keine Bestellung zu bekommen, verläßt er fluchend die Wohnung: „Sie gehören auch zu denen, die kein Verständnis für meine Lage haben!“ Die Haustür wird hörbar zugeschlagen. Der Wohnungsinhaber bleibt mit angekratztem Gewissen zurück und kompensiert seine Hilflosigkeit mit ein bißchen Wut auf Herrn Berchtolds Wohltätertum.

Zwei Tage später klingelt es zur Abendstunde abermals an der gutbürgerlichen Wohnungstür. Ein anderer junger Mann erscheint, kreuzt nicht die Arme, und erklärt: „Ich will Ihnen nichts verkaufen“.Der Wohnungsinhaber meint die Lage zu durchschauen: „Hören Sie auf, ich kenne Ihre Geschichte. Sie kommen von einer Pressevertriebszentrale und ich soll Ihnen mit einem Abo helfen“.

Nein, wehrt der junge Mann ab, es sei ganz anders: Er habe gesessen und läge auf der Straße, wenn ihm nicht eine Firma Unterkunft und Kleidung besorgt und zu Weihnachten gar einen CD-Player geschenkt hätte. Dafür müsse er 320 Punkte sammeln und das geschehe über die Bestellung einer Zeitschrift. Ein Spiegel-Abo bringe acht Punkte und helfe viel, aber er könne auch mit anderen Titeln dienlich sein.

120 Punkte habe er schon und hoffe auf Verständnis: „Wenn Sie nichts wollen, dann etwas für die Kinder vielleicht?“ Er verweist auf eine stattliche Titelliste.

Nein. Auch der zweite Werber bekommt sein Anliegen nicht erfüllt und weist auch eine Spende „unter der Hand“ entschieden ab: „Ich darf das Geld nicht annehmen.“ Und einen Herrn Berchtold kenne er nicht. Er komme von der Firma Friedrich Hengst, laut Telefonbuch Inhaber eines „Zeitschriftenvertriebs“ in Altona.

Der Inhaber der gutbürgerlichen Wohnung wartet nun auf den nächsten abendlichen Klingler, denn in den Hamburger „Gelben Seiten“ sind 14 Zeitungs- und Zeitschriftenvertriebe verzeichnet, allesamt wahrscheinlich kleine Helfer der Menschheit, die den großen Helfern aus der Medienbranche zuarbeiten, das Elend von der Straße holen. Alle großen Verlage haben, wie sie behaupten, mit den kleinen Helfern und deren Geschäftspraktiken nichts zu tun.

Und die hier genannten „Pressevertriebszentralen“ sind natürlich, wie Anfragen ergeben, so seriös wie die Großverlage, die ihnen die Bestellungen abkaufen. Sie bestätigen die Tür-Geschichten, definieren sich als seriöse Unternehmen, die mit den Lebensläufen von Hinz und Kunz nicht Geld machen, sondern einfach helfen: „Sehen Sie mal: Der Vater säuft, haut der Mutter eins auf die Fresse, der Sohn haut ab, liegt auf der Straße. Und wir geben ihm eine Möglichkeit“, erläutert ein durchaus freundlicher Herr von der Firma Hengst. Und wundert sich dann, wieso der Inhaber der gutbürgerlichen Wohnung ihn überhaupt anruft: „Haben Sie nun bestellt oder nicht?!“

Knut Sieversen