piwik no script img

■ Die deutschen Lieferanten einer Anlage, mit der der Irak Giftgas herstellte, um Kurden zu töten, wurden freigesprochenDie unschuldigen Händler des Todes

Deutsche Ingenieure sind verblödet: Das jedenfalls will uns die 13. Große Kammer des Landgerichts Darmstadt mit ihrem Urteil über die Fabrikationsanlage im irakischen Samarra weismachen, die von den Firmen Karl Kolb und Pilot Plant errichtet wurde. Nein, nicht Giftgas, sondern Düngemittel würde die Fabrik produzieren, hatten die Ingenieure und Manager mit devotem Augenaufschlag von der Anklagebank berichtet. Ich meine, wenn ein Ingenieur ein gerades Rohr konstruiert, weiß er genau, ob der Querschnitt für ein Bettgestell gerade noch ausreicht oder ob man daraus den Lauf eines Maschinengewehrs oder eines Geschützes machen kann.

Deutsche Offiziere sind unglaubwürdig: Daß mit der Anlage „made in Germany“ im Chemiewaffenkomplex „Muthana“ bei Samarra nie etwas anderes als Giftgas hergestellt wurde und werden sollte, wußte das Darmstädter Gericht aus Berichten von Inspektoren der Vereinten Nationen. Vor allem der deutsche Inspektor, Fregattenkapitän Heinz-Dieter Joop, der als Mitglied der UNO die Fabrikationsanlagen untersuchte, war zu dem Schluß gekommen, es sei unverfroren, wenn die Angeklagten behaupten, sie hätten nicht gewußt, daß es sich bei ihren Lieferungen um Anlagen zur Giftgasproduktion gehandelt habe. Das Gericht glaubte dem Bericht nicht. Selbst die Bundesregierung muß es gewußt haben, das wurde jedem Prozeßbeobachter klar. Warum sonst hat sie die ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen dem Gericht über drei Jahre lang nicht übergeben. Wichtige Papiere kamen bruchstückweise, und merkwürdig dabei ist, daß sie in Arabisch geschrieben waren. Die deutschen Waffenexportkontrolleure stellten sich selbst dann noch blind, als während des Embargos vor dem zweiten Golfkrieg bei MBB in München wichtige Ersatzteile für die giftversprühenden deutschen Kampfhubschrauber für den Export in den Irak verpackt wurden. Mit diesen Hubschraubern wurden am 28. August 1988 im Bazehtal wenige hundert Meter vor der rettenden türkischen Grenze mindestens 3.000 flüchtende kurdische Frauen, Kinder und Alte laut Augenzeugen von MBB-Hubschraubern mit Giftgas getötet.

Amerikaner und Israelis sind glaubwürdig: Schon 1984 hatte die New York Times über die Erkenntnisse des CIA berichtet, wonach die beiden Firmen die Anlagen für die Produktion von Unkrautvernichtungsmitteln hergestellt hatten, mit denen auch menschentötendes Nervengas produziert werden kann. Schon im Frühjahr 1987 unterrichtete die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ die Öffentlichkeit, gestützt auf kurdische Quellen, darüber, daß seit April Giftgasangriffe auf kurdische und assyrische Bergdörfer im Nordirak stattfinden. Damals stellten wir bereits den direkten Zusammenhang mit den deutschen Anlagenproduzenten her. Die Antwort der Firmen: Sie setzten nach einer Verhandlung vor dem Bonner Landgericht, bei der sie vorsichtig testeten, was über ihre Lieferungen und deren Auswirkungen bekannt war, eine einstweilige Verfügung gegen die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ durch. Zweimal 500.000 Mark sollten wir zahlen, falls wir unsere Anschuldigung wiederholen. Und wir wiederholten sie, indem wir die Jerusalem Post zitierten: Deren Journalisten hatten unsere Recherchen voll bestätigt. Das Landgericht Bonn wagte es dann nicht mehr, uns einzuschüchtern. Der Bericht der israelischen Journalisten wurde nicht bezweifelt.

Und dann, als im März 1988 die gespenstischen Bilder aus der kurdischen Stadt Halabja mit den 5.000 Giftgastoten kamen, klagte die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ öffentlich die Bundesregierung an. In der ZDF-Nachrichtensendung Heute forderte ich die Verantwortlichen auf, gegen die deutschen Produzenten der Giftgasanlagen vorzugehen. Obwohl ich dabei die Firmen nannte und die Zusammenhänge herstellte, passierte nichts. Weder widersprach die Bundesregierung, noch forderte das Bonner Gericht die eine Million Mark Bußgeld ein.

Deutsche Richter sind pfiffig: Sie entscheiden, obwohl keine Zweifel bestehen, für die Angeklagten. Das freut die Bundesregierung, wirbelt nicht neuen Staub in der internationalen Öffentlichkeit auf, sichert Arbeitsplätze in Waffenschmieden, die Karriere und kann zur Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens beitragen. Alle beteiligten Richter kennen die Schilderungen von Firmenbesitzerin Monika Kolb: „Die von uns gelieferten Anlagen sind in Samarra installiert worden. Sie waren 1985 betriebsbereit. In der Folgezeit sind unsere Techniker sehr häufig zu Reparaturen in Samarra herangezogen worden.“ Der sachverständige Gutachter Prof. Werner Richarz von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich hatte keine Zweifel: In den Anlagen sind in dieser Zeit die Nervengase Lost und Tabun hergestellt worden. Richarz wurde während der Verhandlung krank. Ersatzweise wurden der ehemalige Bayer-Manager und Pestizid-Fachmann Wolfgang Swodenk und der Chemiewaffenexperte und ehemalige Berater der Bundesregierung, Helmut Hoffmann, von den Richtern befragt.

Uns ist das Urteil völlig unverständlich. In Sonntagsreden sprechen deutsche Politiker gern über unsere grauenvolle Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg. Das Auschwitz im Sand aber ist weit weg. Tilman Zülch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen