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Unterm Strich

Unter den ersten öffentlichen Reaktionen auf den Tod des Schriftstellers Erwin Strittmatter findet sich diejenige Hermann Kants, ehemals Präsident des DDR-Schriftstellerverbands. Strittmatter sei einer der größten deutschen Erzähler des Jahrhunderts gewesen. Er habe in seinen in der Lausitz angesiedelten Romanen einem weniger attraktiven Landstrich Sprache und Glanz verliehen. Auch verfüge er über eine der größten Raritäten in der deutschen Literatur: „Er war ein großer Humorist.“ Was fies gewesen sei: Im Westen habe man Strittmatter überhaupt erst nach der Wiedervereinigung zur Kenntnis genommen. Dies sei eben eine jener „Gemeinheiten, die sich aus verkehrt laufender Politik“ ergeben. Aber: Was dem Autor an Gleichgültigkeit aus dem Westen entgegengeschlagen sei, das hätten ihm die Leser im Osten doppelt und dreifach mit ihrer Lesebegeisterung vergolten. Na, wenn da man nicht auch was sehr eigenes mitverhandelt worden ist ... Bei uns werden Sie morgen ein Porträt des Schriftstellers finden, frei von Projektionen und Projektilen.

Das erste Indische Kulturzentrum des westeuropäischen Kontinents wird am Sonnabend in Berlin eröffnet. Bibliothek, Videothek und jede Menge überregionaler Veranstaltungen sollen nicht nur den etwa 3.500 in Berlin lebenden Indischstämmigen den Transfer erleichtern, sondern überhaupt Mut machen. Das ist gut, und gut ist auch, daß auf den Berliner Filmfestspielen wirklich der ein oder andere tolle indische Film zu sehen sein wird (steht nicht nur „Indienfilme“ drauf, sind auch wirklich welche drin). „Charachar“ von Buddhadeb Dasgupta wird schon recht heftig gehandelt.

Die Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ wird im Februar „Der Fliegende Holländer“ geben, obwohl man womöglich viel lieber „Der Fliegende Kultursenator“ gezeigt hätt'. Nur Spekulation, versteht sich.

Rot sehen die bayerischen Schwarzen von der CSU, wenn die Kollegen Christdemokraten ständig die Abschaffung der Dritten Programme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens anmahnen. Hofberichterstattung in Gefahr! Und so tönt der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei (wo die wahren Chefredakteure des Bayerischen Rundfunks sitzen) Herbert Huber (CSU): „Die Bedeutung der Dritten Programme wird eher noch wachsen als abnehmen.“ Im zunehmenden Kanalangebot seien sie eine Al

ternative mit den Schwerpunkten Kultur und Information. Kultur des Kanalarbeitens und Lobhudelns? Finster, finster.

Jedenfalls läßt sich sagen, daß die kulturellen Höhepunkte inzwischen in eine ganzjährige kulturelle Filmarbeit eingebettet sind. Das ist gut und richtig und wichtig, ein Jahr eingebettete Höhepunkte etc., und wir wollen hier kein Antiklimax einläuten, indem wir noch rasch im Handumdrehen darauf hinweisen, daß es auch eine Reihe von Sondervorstellungen für Schulen, Kindergärten und Horte geben wird, und raten Sie mal, von welchem Film, unter anderem? Jaaaa! „Beruf Neonazi!“ Hoffentlich rutscht der nicht versehentlich in die Afrikanische Filmwoche, har har, die gibt es nämlich dies Jahr auch. Nun aber Schluß.

Die Hochschüle der Künste zu Berlin führt derweilen Familie Schroffenstein auf, und man kann irgendwie nicht sagen, daß sich das in eine Reihe kultureller oder sonst irgendwelcher Höhepunkte in dieser unserer Stadt einbetten ließe, nicht einmal, wenn Familie Feuerstein dazukäme. Wartet nur ab, bis wir zeigen, was wir unter Lassie verstehen. Warum dies ewige Berlin-Bashing? Schon mal hiergewesen? Lokalkolorit unterm Schuh abgekratzt? Schwamm drüber.

Jedenfalls soll, so steht's auf dem Papier, nicht an der Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus gespart werden, und zwar soll sich diese künftig in der Stasi-Haftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen befinden. Die Sowjetische Militäradministration hatte im Mai 1945 das Gefängnis als zentrales Internierungslager auf einem ehemaligen Fabrikgelände errichtet. Nach Aussagen von Häftlingen kamen dort allein bis 1950 3.000 bis 3.500 Gefangene ums Leben. Den oft noch minderjährigen Häftlingen war zumeist Werwolftätigkeit, antisowjetische Propaganda und Spionage vorgeworfen worden. 1947 hatten die sowjetischen Behörden von den Häftlingen Folterzellen und Haftzellen einbauen lassen. Dieses sogenannte U-Boot existiert noch heute. Mit DDR-Gründung hatte die Stasi das Lager übernommen. Die Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten teilte am Dienstag mit, daß Experten der Humboldt- und der Freien Universität sowie der Gauck-Behörde beauftragt worden sind, die Sache zu beforschen und zu beschicken. Bundesregierung und Senat haben allerdings noch nicht definitiv entschieden.

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