SED-Wahlkampfhilfe für Rau

Bahr bestätigt: „Ich habe denen ein Bonbon gegeben“ / SED-Akten aus Parteiarchiv belegen gezielte Wahlkampfhilfe für Kanzlerkandidat Rau / CDU: Rau hat Parlament belogen  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Am 18. September 1986 überschlug sich der Bonner SPD-Sprecher Heußen beinahe vor lauter Kandidatenlob. Johannes Rau, damals Kanzlerkandidat der SPD, habe einen „großen Triumph“ erzielt. Kurz zuvor hatte Johannes Rau überraschend verkündet, daß die DDR-Regierung nach Verhandlungen mit seinem Gewährsmann Egon Bahr ab 1. Oktober 1986 den bis dahin ungehinderten Flüchtlingstransit vom Ostberliner Flughafen Schönefeld in den Westen der Stadt stoppen werde. Monatlich erreichten damals etwa 5.000 Asylbewerber, vorwiegend Tamilen, über diesen Weg West- Berlin. Für die Bundesregierung hatte sich Wolfgang Schäuble (CDU) vergeblich bemüht, das Tor in den Westen zu schließen. „Jetzt“, so Rau wörtlich am 18. 9. 1986, „ist eine Lösung da, über die wir uns alle miteinander freuen sollten.“ Diese „Lösung“ sei durch „intensive“ Gespräche mit der SED-Führung, die in Absprache mit dem SPD-Präsidium „Egon Bahr dann in meinem Auftrag geführt hat“, zustande gekommen.

Wenige Stunden nach der Rau- Erklärung kam seinerzeit die Bestätigung aus Ost-Berlin. Dieses Zusammenspiel hat NRWs CDU- Opposition seither immer wieder unter der Überschrift „SED-Wahlkampfhilfe für Rau“ zu thematisieren versucht. Zuletzt 1991 nach der Zeugenvernehmung von Schäuble im Bonner Schalck-Golodkowski- Untersuchungsausschuß. Dort hatte Schäuble erklärt, daß Schalck-Golodkowski sich nach dem Wahlsieg von Kohl bei ihm für „diese Wahlkampfhilfe zugunsten der SPD entschuldigt“ habe. Wirklich in Bedrängnis kam Rau dadurch nicht, weil die CDU den Wahrheitsgehalt der Aussage nie belegen konnte. Rau selbst beantwortete am 13. 11. 1991 im Düsseldorfer Landtag die Frage eines CDU-Abgeordneten, ob es nach seiner Erinnerung je „Absprachen mit der DDR- oder SED-Führung gegeben hat, bestimmte Dinge in einem zeitlich nahen Verhältnis zur Wahl zu tun oder zu veröffentlichen“, mit einem klaren Nein.

Die inzwischen rekonstruierbaren Gesprächsverläufe zwischen Bahr und der SED-Führung, die durch Veröffentlichung von SED- Protokollen in „Kontraste“ und durch eine Presseinformation des „Forschungsverbundes SED- Staat“ an der FU Berlin bekanntgeworden sind, sprechen indes eine andere Sprache. Aus diesen Protokollen geht zweifelsfrei hervor, daß Bahr mit dem damaligen SED-Politbüromitglied Hermann Axen die Inhalte und den Verkündigungstermin durch Rau mit Blick auf den Wahlkampf im Detail geregelt hat. Nach einem am 5. September mit Bahr und Erich Honecker geführten Gespäch hielt Axen folgende Bahr-Äußerung fest: „Gibt es eine Möglichkeit, eine Regelung zu erreichen, die auch im Hinblick auf das Wahlergebnis vom 25. 1. 1987 (Bundestagswahltermin, d. R.) günstig wäre“. Als „Gegenleistung“ habe Bahr, so Axen laut Protokoll, angeboten, die SPD wolle „in aller Form erklären, daß bei der Regierungsübernahme durch die SPD die Regierung der BRD voll die Staatsbürgerschaft der DDR respektieren wird und damit dieses Thema beerdigt wird“. Inzwischen hat Bahr in einem WDR-Interview bestätigt, daß Axen den Gesprächsinhalt korrekt protokolliert habe. Bahr: „Ich habe denen ein Bonbon gegeben. Ja!“ In der Substanz sei das aber „Null“ gewesen.

Nach dem Gespräch mit Honecker und Axen entwickelte sich zwischen Bahr und Axen ein intensiver Brief- und Telegrammverkehr. Am 11. 9. übersandte Axen an Honecker ein Papier mit der Überschrift: „Bemerkungen und Vorschläge für weiteres Vorgehen in bezug auf Ersuchen der SPD-Führung zur Asylantenfrage“. Darin wird vorgeschlagen, daß die DDR-Fluggesellschaft künftig nur noch solche Personen im Transit befördere, die „über ein Anschlußvisum verfügen“. Honecker zeichnete diese Erklärung mit „einverstanden“ ab. Am 17. September traf sich Bahr noch einmal mit Axen, um die Einzelheiten zu besprechen. Ursprünglich wollte die DDR am 18. September um 14 Uhr die Ständige Vertretung der BRD in Ost-Berlin von ihrem neuen Kurs informieren. Nach einer Notiz von Axen bat Bahr darum, der Vertretung erst um 16:30 Uhr zu berichten, um Rau „die notwendige Zeit für die Abgabe der Erklärung“ zu lassen.

Der Düsseldorfer CDU-Oppositionsführer Helmut Linssen warf Rau gestern vor, das Parlament „dreist belogen“ zu haben. Rau habe den „Anspruch verwirkt, ein öffentliches Amt zu bekleiden“. Rau nahm dazu im Parlament Stellung. Bahr habe ihm zwar von den Verhandlungen berichtet, aber der Verkündung durch ihn sei, „was mich betrifft, nicht irgendeine Abstimmung mit irgendwem und irgendeine Koppelung mit irgendwelchen Wahlterminen“ vorausgegangen. Zumindest von dem durch Bahr angebotenen „Bonbon“ war Rau aber zweifelsfrei informiert. Dazu Bahr: „Ja selbstverständlich. Ich habe doch nicht hinter seinem Rücken gehandelt.“

Siehe Kommentar Seite 10