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Die Stahlbarone an der Ruhr pokern weiter

■ Stahlkrise ohne Ende: Konferenz mit Rexrodt blieb ohne konkrete Ergebnisse

Bonn/Bochum (taz) – Der Stahlgipfel des europäischen Ministerrates vom 17. Dezember 1993 war kaum zu Ende, da begann an der Ruhr das alte Pokerspiel um die Staatsknete. Vor allem die beiden Großen der Branche, Heinz Kriwet, oberster Thyssen-Chef, und Gerhard Cromme, bei Krupp- Hoesch auf der Kommandobrücke, trumpften auf. Gestern wurden sie zum Wirtschaftsminister Günter Rexrodt zum Gespräch gebeten. Doch den längst angemahnten Plan über die vom Brüsseler Industriekommissar Martin Bangemann verlangten Kapazitätsschnitte hatten sie nicht mitgebracht. Bangemann will sämtliche Brüsseler Zahlungen an die privaten Stahlkocher stoppen, wenn die nicht bald konkrete Zahlen über den versprochen Kapazitätsabbau vorlegen. Mitte Februar will die Kommission mit den Stahlindustriellen weiterverhandeln.

Ganz still verhalten sich derweil die Kollegen vom Saarland, von der Klöckner-Hütte in Bremen, von der Georgsmarienhütte in Osnabrück und die neuen Herren bei Eko-Stahl in Eisenhüttenstadt: Sie alle haben die Steuermillionen im Sack. Eko darf mit Genehmigung der EG-Kommission eine Milliarde Mark an Steuermitteln für den Aufbau neuer Warnbreitbandkapazitäten einsetzen, und die Klöckner-Hütte konnte sich über einen Vergleich und durch die Zufuhr von frischem Beteiligungskapital in Höhe von 250 Millionen Mark retten.

Weil das Kapital zum größten Teil aus öffentlichen Unternehmen der Stadt stammt, sprechen die Stahlindustriellen von der Ruhr im Verein mit der Düsseldorfer Landesregierung von „verdeckten Subventionen“. Ob der Vorwurf sticht, wird das Untersuchungsverfahren zeigen, das die europäische Kommission inzwischen eingeleitet hat.

Auch im Saarland fließen reichlich Landesmittel. Mit mindestens 220 Millionen Mark werden dort die Sozialpläne für ausscheidende Stahlkocher der maroden Saarstahl AG alimentiert. Einen ganz besonderen Trick hat sich das Kabinett in Hannover einfallen lassen. Über sogenannte „Forschungshilfen“ wird der Bau eines neuen Elektroofens in der Georgsmarienhütte mit einem zweistelligen Millionenbetrag subventioniert. Das Beispiel dürfte nun auch in NRW Schule machen. Der Düsseldorfer Regierungschef Johannes Rau hat gestern im Landtag Geld für die „Einführung neuer Technologien“ in Aussicht gestellt. Die von den Unternehmen geforderte Landesbeteiligung an Sozialplänen lehnt das Rau-Kabinett dagegen ab. Ausscheidenden Stahlarbeitern soll aber mit Geld aus der Düsseldorfer Landeskasse eine Qualifizierung und Umschulung erleichtert werden.

Die Thyssen Stahl AG will noch in diesem Jahr ihre Belegschaft von 33.000 um 4.000 Beschäftigte reduzieren. Bis Ende 1995 soll die Zahl der Arbeitsplätze auf 22.000 schrumpfen. Bei der Krupp- Hoesch-Stahl AG sieht es nicht besser aus. Für dieses Jahr hat Cromme den Abbau von 2.800 Jobs angekündigt. Das fusionierte Unternehmen, das noch im vergangenen Dezember 18.700 Beschäftigte zählte, soll bis zum Ende nächsten Jahres auf etwa 14.000 Beschäftigte runtergefahren werden. Für die bisher üblichen Sozialpläne – Kosten: 100.000 Mark pro Arbeitsplatz – fehlt es Cromme wie Kriwet wegen milliardenschwerer Verluste gleichermaßen an Geld. Deshalb drohen jetzt erstmals auch für Stahlkocher betriebsbedingte Kündigungen.

In dieser Situation hat die IG Metall ihre Bereitschaft signalisiert, nach dem Muster von VW nun auch in der Stahlindustrie Arbeit und Geld zu teilen. Dieter Schulte, im IG-Metall-Vorstand für den Stahlbereich zuständig, erachtet das VW-Modell für „sinnvoll und übertragbar“. Dieter Hennig, Personalvorstand der Thyssen AG, hat ein Fünf-Schichten-Modell vorgeschlagen. Die tarifliche Wochenarbeitszeit von derzeit 36,5 Stunden könnte dann auf 33,6 Stunden sinken. Bei entsprechendem Lohnverzicht ließen sich auf diese Weise bei Thyssen rechnerisch rund 2.000 Arbeitsplätze mehr erhalten. Auch Cromme will über den Fünf-Schichten-Betrieb reden, aber zur Problemlösung reiche dieses Modell allein nicht aus.

Die von den Stahlindustriellen geforderte zusätzliche Kokskohlenhilfe hat Bundeswirtschaftsminister Rexrodt gestern erneut abgelehnt.

Weil man sich von Bonn und Brüssel kaum noch etwas erhofft, wenden sich die Stahlbetriebsräte jetzt direkt an Düsseldorf. Der Vorsitzende des Krupp-Hoesch- Betriebsrates, Werner Naß, verlangt Lösungen wie in Bremen, im Saarland oder in Eisenhüttenstadt. „Wenn man uns hier im Regen stehen läßt“, droht Naß, „werden wir auch gegen eine SPD-geführte Landesregierung Front machen.“ Walter Jakobs

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