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Die Krise der Arbeit als Chance zum Umdenken

■ Die Geschlechterfrage als Dreh- und Angelpunkt zur Bewältigung der Krise der Arbeit: Ein Plädoyer für neue arbeitsmartkpolitische Prioritäten in der Wirtschaftsförderung Von Katja Barloschky und Irmgard Czarnecki

Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund anhaltender Rezession und sinkender öffentlicher Haushalte sind katastrophal. Im „Prognos- Deutschland Report Nr.1“ von 1993 wird für das Jahr 1995 mit einer Arbeitsplatzlücke von 6,7 Millionen gerechnet; 16% der Erwerbspersonen wären dann arbeitslos.

Daß dies keine den besonderen deutschen Bedingungen geschuldeten und im Zuge des herbeizupredigenden „Aufschwung Ost“ sich in Luft auflösenden Sonderprobleme sind, zeigen die Kennziffern anderer Industrienationen: 1994 werden im EG-Bereich 19 Millionen Arbeitslose erwartet, die OECD rechnet mit 36 Millionen in ihren 24 Mitgliedsstaaten.

Damit nimmt eines der größten gesellschaftlichen Probleme der Zukunft, nämlich die Verteilung von abnehmender Erwerbs-Arbeit, schon heute ernsthafte Formen an. Es handelt sich nicht um eine kurzfristige, durch „Aufschwung“ zu überwindende „Fehlentwicklung“, sondern um einen die nächsten Jahrzehnte immer stärker prägenden gesellschaftlichen Kristallisationspunkt, der das Ende der Wachstumsgesellschaft markiert.

Umso hilfloser wirken die hektischen Versuche, der Massenarbeitslosigkeit und ihren hinreichend bekannten gesellschaftlichen Folgewirkungen mit einzelnen Maßnahmen aus dem Arsenal der isolierten und fiskalisch kurzgehaltenen „Reparaturwerkstatt“ Arbeitsmarktpolitik beikommen zu wollen und ansonsten weiter auf die angeblich heilenden Kärfte der finanziell gut gepolsterten Wirtschaftsförderung plus Deregulierung zu setzen.

Die Krise am Arbeitsmarkt wird gegenwärtig dazu genutzt, veralteten Konzepten erneut zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu gehören die Aufkündigung der Tarifautonomie, Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der Abbau von sozialen Errungenschaften, Wiederbelebung der Nationalstaatlichkeit, Zurückdrängung der ökologischen Erfordernisse sowie ein Rollback in der Frauenfrage. Diese Krise schreit aber geradezu danach, mit einem kritischen Blick auf Strukturen des Arbeitsmarktes, auf Produktionsabläufe und –inhalte sowie gesellschaftliche Arbeitsteilung nach neuen Wegen in die Zukunft zu suchen.

Hauptbetroffene unter den (Langzeit-) Arbeitslosen sind Frauen: Sozialhilfeempfängerinnen, alleinerziehende Mütter, ältere Arbeitnehmerinnen, junge Frauen ohne schulischen bzw. beruflichen Abschluß, Migrantinnen. Der mit den jüngsten Beschlüssen der Bundesregierung eingeleitete Abbau von Sozialstaatlichkeit in neuer Qualität verschlechtert die Lebenslagen gerade dieser Frauen zusätzlich und zementiert damit ihre Ausgrenzung aus dem Arbeitsprozeß und gesellschaftlichem Leben.

Aufschlußreich ist die geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, weil sie ein Schlaglicht auf die gesellschaftlichen Kriterien für die Bewertung von (Erwerbs- ) Arbeit wirft. Ein paar Beispiele: Erzieherinnen oder Altenpflegerinnen werden tariflich schlechter gestellt als der qualifizierte Facharbeiter, der an der Herstellung eines Automobils beteiligt ist. Ist das Produkt Auto mehr „wert“ als die Erziehung unserer Kinder oder die Betreuung von SeniorInnen?

Fachliche oder technische Bildungsabschlüsse werden im Rahmen des gängigen Qualifikationsbegriffes bewertet; soziale Kompetenz, Teamfähigkeit, Ausgleich, Geduld, Fürsorge – also mit der Biografie von Frauen verbundene Fähigkeiten, die zum Arbeitsprozeß gehören, bleiben „unsichtbar“ und werden damit dankend, aber unentgeltlich genutzt. Ist das Gerede über den besonderen Wert von „Schlüsselqualifikationen“ nur ideologische Makulatur?

Teilzeitarbeit oder Erziehungsurlaub“ sind heutzutage Kernstücke von betrieblichen Frauenförderplänen. Abgesehen davon, daß sie nur für Mittelschichtfrauen zur Debatte stehen, und abgesehen davon, daß genau diese Instrumentarien zu Karriereblockern werden: Warum werden Modelle der Umverteilung von Arbeitszeiten eigentlich unter „Frauenförderung“ subsumiert? „Männerförderpläne“ sind jedenfalls nicht in Sicht.

Solange der Mann als Ernährer gilt, die Reproduktionsarbeit weiblich und unbezahlt ist, das Produkt und damit die Arbeit ausschließlich am Tauschwert, nicht aber an ökologischen und globalen Umverteilungsmaßstäben gemessen werden, solange können keine neue Antworten auf die Frage nach der Bewertung und Verteilung von Erwerbsarbeit und gesellschaftlichen Reichtümern entwickelt und durchgesetzt werden. Deshalb ist die Geschlechterfrage ein Dreh- und Angelpunkt für die Bewältigung der Krise der Arbeit.

Wenn es stimmt, daß die Logik des Wachstums ökologisch und ökonomisch an ihre Grenzen gestoßen ist, dann gibt es nur eine mögliche Konsequenz: Die, die haben, müssen mit denen teilen, die nichts haben.

Runterdekliniert auf die Probleme des Arbeitsmarktes bedeutet dies: Diejenigen, die Arbeit und Brot und Anerkennung haben, müssen mit denen teilen, die davon ausgegrenzt werden. Auch der Vorschlag, einen sog. „2. Arbeitsmarkt“ mit untertariflicher Bezahlung (als „Beitrag“ der Arbeitslosen) zu institutionalisieren, ist unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten. Teilen ist notwendig, selbst wenn das Geld, mit denen heute Arbeitslosigkeit subventioniert wird, endlich umgewidmet wird in die Finanzierung von Arbeit.

Teilen, das verlangt eine Steuerreform zugunsten von niedrigen Einkommen, Familien mit Kindern etc. Teilen, um Erwerbsarbeit gerechter und zugleich volkswirtschaftlich sinnvoll zu verteilen, das könnte darüber hinaus z.B. bedeuten: einen „Zukunftsbeitrag“ für alle Einzelgehälter ab 3.500,-DM netto aufwärts, aus dem staatliche Investitionen und damit Arbeitsplätze im Bereich Ökologie, Erziehung, Pflege etc. finanziert bzw. bezuschußt werden könnten.

Es könnte weiter bedeuten, Beamte werden in das Sozialversicherungssystem integriert; Arbeitszeitverkürzungsmodelle bei Lohnausgleich nur für untere und mittlere Einkommen; Abgaben auf Überstunden (nach DGB-Berechnungen würde eine Abgabe von 2,-DM pro Überstunde ein Volumen von mindestens 3 Mrd. DM ausmachen); Mißbrauchsbekämpfung da, wo sie hingehört und nicht bloß Diffamierungscharakter trägt! Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft schätzt das Volumen des Steuerbetrugs aus der Schattenwirtschaft allein in den alten Bundesländern auf 130 Mrd. DM!

Verantwortlicher mit Mitteln des Gemeinwesens umgehen; gesellschaftlich rechnen und nicht mehr Armut und Ausgrenzung dauerhaft alimentieren; Erwerbsarbeit fördern: alle diese Gedanken müssen endlich durchgesetzt werden. Daß sich dies rechnet, zeigt ein oberflächlicher Blick auf die Kosten der Arbeitslosigkeit: Die Arbeitslosigkeit verursachte im Jahr 1991 in den öffentlichen Haushalten der alten Bundesländer Ausgaben und Einnahmeausfälle in Höhe von 54,6 Mrd. DM, im Durchschnitt 32.300 DM je Arbeitslosen. Allein diese Mittel eingesetzt zur gezielten Subventionierung von Arbeit macht deutlich, in welchen Dimensionen volkswirtschaftliche Mittel sinnlos, unproduktiv und stigmatisierend vergeudet werden.

Hinzu kommen Folgekosten von Langzeitarbeitslosigkeit (Betreuung, Krankheitsfolgen, Sucht etc.) sowie Wohlfahrtsverluste für die Gesellschaft durch Kaufkraftverlust etc. Dabei geht es nicht um die Verteilung von Almosen, sondern um die ökonomischen und sozialen Existenzgrundlagen der Gesellschaft!

Gefragt sind Konzepte, die die vorhandene gesellschaftlich notwendige Arbeit neu bewerten und verteilen und gleichzeitig die öffentlichen Mittel nach zukunftsorientierten Kriterien bündeln und gezielt und kontrolliert einsetzen. Wer fragt nach den arbeitsmarktpolitischen Wirkungen der Wirtschaftsförderung? Das dauerhafte Einsetzen staatlicher Mittel für die angebliche Erhaltung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen im sogenannten 1. Arbeitsmarkt hat Tradition und gilt unter verschiedenen Bezeichnungen – Wirtschaftsförderung, Strukturförderung (z.B. Stahl), Ansiedlungspolitik) als unantastbare heilige Kuh selbst bei strengsten öffentlichen Sparvorgaben. Bittere Erfahrungen belegen, daß die behaupteten arbeitsmarktpolitischen Ergebnisse bei der Vergabe von Wirtschaftsförderungsmitteln kaum kontrolliert und selten erzielt werden.

Das jüngste und zugleich sich wiederholende Bremer Beispiel der Grunau-Gruppe spricht Bände. Jeder Beschäftigungssträger, der es sich erlauben würde, so mit öffentlichen Mitteln umzugehen, würde – zu Recht!– mit Schimpf und Schande davongejagt werden! Da in Form von Investitionskostenzuschüssen Maßnahmen staatlich subventioniert werden, die explizit einen Abbau von Arbeitsplätzen ohne Ausgleichsmaßnahmen vorsehen, ist mindestens so verrückt wie die Tatsache, daß diese skandalöse Politik unwidersprochen zur Erpressbarkeit im Rahmen des regionalen „Bürgermeisterwettbewerbs“ gehört.

Das Kriterium für die begriffliche Unterteilung in den „1.“ und den „2.“ Arbeitsmarkt ist die Subventionierung von Arbeit mit staatlichen Geldern. Dies geschieht auch und insbesondere im sogenannten 1. Arbeitsmarkt. Die Verwendung der Begriffe 1. und 2. Arbeitsmarkt suggeriert aber immer wieder, es handele sich bei ersterem um den leistungsfähigen, nichtsubventionierten, ohne staatliche Unterstützung auskommenden und beim zweiten um den nichtleistungsfähigen, subventionierten, von staatlicher Alimentierung abhängigen. Eine solche falsche, den Tatsachen nicht entsprechende Darstellung der Dinge schafft Entsolidarisierung und nimmt eine falsche Bewertung von Arbeit vor; sie spaltet den ohnehin schon zersplitterten Arbeitsmarkt (ungeschützte Arbeitsverhältnisse, Illegaler, grauer Arbeitsmarkt, „Asylbewerber- Arbeitsmarkt“...) weiter und damit die Gesellschaft.

Tatsächlich muß diskutiert werden über die Subventionierung von Arbeit in einem als Ganzes zu betrachtenden Arbeitsmarkt. Dafür müssen die unterschiedlichen Instrumentarien der öffentlichen Förderung einschließlich der Wirtschaftsförderungsmittel endlich gebündelt werden. Notwendig sind politische Vorgaben für Kriterien, nach denen Arbeit insgesamt und im einzelnen in den unterschiedlichen Sparten des Arbeitsmarktes subventioniert wird: Wieviel Arbeitsplätze werden/ wurden wo, von wem, mit welchen Mitteln geschaffen/erhalten , wie hoch ist der ökologische Preis, welche Personengruppen werden beschäftigt zu welchen Bedingungen etc.

Notwendig ist darüber hinaus ein Transparenz und Beteiligung sicherndes Controlling. Weniger Bürokratie und Stammtischpolitik, mehr Erfolgskontrolle sind erforderliche Schritte, um öffentliche Mittel effektiver einzusetzen.

Wir halten es für notwendig, alle denkbaren Formen der Subventionierung von Arbeit auf der Basis eines einheitlichen Tarifsystems auszubauen und in diesem Zusammenhang soziale Wirtschaftsbetriebe entschiedener und mit weit größerem Volumen als bisher zu fördern.

Um abzusichern, daß auch aus sozialen, geschlechtsspezifischen oder bildungsbedingten Gründen ausgegrenzte Arbeitsuchende in den Arbeitsprozeß integriert werden, können soziale Wirtschaftsbetriebe mit zusätzlichen Qualifizierungs- und Betreuungsaufgaben eine mögliche sinnvolle Form der Arbeitsmarktpolitik sein. Wichtige Erfahrungen und Methoden wurden dafür in Beschäftigungsinitiativen gerade in Bremen gesammelt. Dabei geht es um das Ziel, den aus unterschiedlichen Gründen Benachteiligten und Diskriminierten Wege zu einer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsprozeß zu eröffnen.

Diese Wege können sinnvollerweise sowohl in unbefristete Arbeitsverhältnisse führen als auch in soziale Wirtschaftsbetriebe mit steigendem selbsterwirtschafteten Personal als auch in Existenzgründungen. Notwendig ist dafür ein Förderinstrumentarium, das die individuell unterschiedlichen Voraussetzungen für die Erreichung des Ziels berücksichtigt (z.B. Laufzeiten etc). Für die Subventionierung nach den genannten Kriterien gilt es, geeignete Instrumentarien zu entwickeln, um die individuellen Ansprüche (z.B. nach BSHG- 19, AFG...) mit notwendigen betrieblichen bzw. pädagogischen und qualifizierenden Stützangeboten zu kombinieren und gleichzeitig die wirtschaftliche Leistungskraft abzuschöpfen. Voraussetzung dafür sind sowohl eine größere Transparenz der unterschiedlichen Leistungen (Wirtschaftlichkeit, Qualifizierung, sozialpädagogische Betreuung) dieser Betriebe als auch eine bewußte Steuerung öffentlicher Aufträge für gesellschaftlich notwendige Arbeiten in diesem Wirtschaftsbereich (Veränderung der Vergabeordnung).

Zu den Hausaufgaben des Senats gehört die Einsicht, daß Massenarbeitslosigkeit in unserem Bundesland dauerhaft sein und sich durch den absehbaren Niedergang in den Krisenbranchen Stahl, Automobil und Werften – den Hauptempfängern von Subventionen – weiter verschärfen wird; die Einsicht, daß das Bundesland, besser: die Region, fiskalisch endgültig den Bach abgeht, wenn nicht völlig neue Wege in der Neu- und Umverteilung von Arbeit gegangen werden; die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik nicht an ein Ressort abzuschieben, das nur über verschwindend geringe Mittel verfügt; stattdessen Zusammenfassung und Umstrukturierung der Ressorts; eine entsprechende Bündelung der Mittel aus dem Wirtschaftliche Aktionsprogramm (WAP), der Mittel der klassischen Arbeitsmarktpolitik sowie sämtlicher zu akquirierender Drittmittel zu einem „Arbeitsmarktpolitischen Aktionsprogramm“; eine eindeutige Beibehaltung der Prioritäten bei der Vergabe von Mitteln des Europäischen Struktur- Fonds für sozial und geschlechtsspezifisch benachteiligte Langzeitarbeitslose in Maßnahmen mit Beschäftigungsförderung; eine deutliche Ausweitung sozialer Wirtschaftsbetriebe sowie die institutionelle Absicherung entsprechender überprüfter Trägerstrukturen; die unverzügliche Berufung einer Landesfrauenbeauftragten (oder soll diese Stelle auch dem Wiederbesetzungsstop zum Opfer fallen ?!), die mit der ZGF entschieden dazu beiträgt, die arbeitsmarkt- und politischen Interessen von Frauen zum unüberhörbaren Kriterium für politische Entscheidungen zu machen.

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