: Die Welt in Modulen
„Kathedralen der Freizeitgesellschaft“ – DerTrend geht zur Großanlage mit absoluter Erlebnisqualität ■ Von Christel Burghoff und Edith Kresta
Urlaub spricht unsere Sinne an, Tagungen darüber nicht. „Der Freizeitmensch läßt sich auf Kompromisse ein“, weiß Freizeitpapst H.W. Opaschowski. Selbiges tut der Tagungsmensch. Und so nutzt er nach abgesessener Arbeit die Freuden der Wildwasserbahn im niederländischen Center Parcs Het Heijderbos. Denn längst sind die Tagungen der Thomas Morus Akademie zum Thema Tourismus den kahlen Tagungssälen entflohen und zum Studium vor Ort übergewechselt. So fand deren Veranstaltung „Kathedralen der Freizeitgesellschaft“ unter der gläsernen Kuppel eines Ferienparks mit Erlebnisbad statt. Die Tagungsgäste durften das „kleine Zipfelchen Glück“ (Opaschowski), welches der Kurzurlaub verheißt, hautnah erleben.
Die Welt modernisiert sich. Der Tourismus auch. Und die Kirche fragt nach. Mit Toe-loops und Pirouetten gleiten Freizeitwissenschaftler wie H.W. Opaschowski oder Felizitas Romeiß-Stracke über die gesellschaftliche Oberfläche. Tourismuskritik, die einst wagte, Strukturen zu hinterfragen, behindert die visionäre Kür der Tourismusfachleute. Sie wird ausgepfiffen oder, wenn's gerade mal paßt, geschickt zur Untermauerung eigener Thesen eingebaut. Aber eigentlich „hemmt die Kulturkritik die Kreativität“ der Tourismusfachfrau Romeiß-Stracke.
Während Opaschowski vom Mantafahrer bis Professor alle beglücken will, möchte Romeiß-Stracke der piefigen deutschen Häßlichkeit etwas Schönes entgegensetzen. Auf amerikanische Art? Warum nicht. Und die FreizeitwissenschaftlerInnen tragen schwer an dieser selbstübernommenen „Verantwortung“ für unsere Urlaubswelt: Sie arbeiten unentwegt an der Verschönerung des Produkts. Denn, wie dem größten deutschen Veranstalter ist auch den Fachleuten längst klar: Glück ist käuflich.
Doch sowohl Opaschowski als auch Romeiß-Stracke sind skeptisch, ob sich die Endlosspirale des Glück-Konsums ewig weiterdrehen läßt. Während Opaschowski fürchtet, daß die Ausbeutung der Bedürfnisse im Tourismus mit ihrer „Reizüberflutung und Konsumsteigerung“ vielleicht irgendwann einmal dem rohen „Ausbruch der Aggression“ zum Opfer fallen könnte, prognostiziert Romeiß-Stracke die Bescheidung der Individuen nach dem Jahrtausend- Wechsel. Bis dahin arbeiten beide unermüdlich am perfekten Design des Produkts und der Kontrolle des Freizeitbereichs.
Um diese perfekten neuen Produkte und Trends ging es auf der Tagung. Die vorgestellten Modelle hatten, genaugenommen, nur eins gemeinsam: den Trend zur abgeschlossenen Enklave. Das Spaßbad à la Center Parcs, in dem die Tagungsgäste, in der Hauptsache Branchenvertreter, einen sinnlichen Eindruck avancierter Zukunftsmodelle erhielten, ist im Grunde ein recht bescheidenes Fast food für die Sinne: Mit seinem Bungalowpark für dreitausend Gäste und dem tropischen Erlebnisbad ist es ein phantasieloses Kunstprodukt der achtziger Jahre. Das als Trend präsentierte „Ostseebad Damp“ driftet zwar mit dem Schmelz der sechziger Jahre unaufhaltsam in den Öko-Chic der Neunziger, aber neue Visionen bietet es mit seinem Angebot zwischen Öko-Urlaub im umweltschonenden Hochhaus plus Reha- Klinik nicht. „Euro Disney“ hat Europa, wie das Großprojekt vor Paris zeigt, ohnehin nicht sonderlich überzeugt; und die Mall of America, das amerikanische Konzept für ungestörten Konsum plus Erlebnisqualitäten, ist eine naheliegende Perfektionierung unserer noch schlichten Einkaufszonen. Nichts als bodenständig wirken die „Kärntner Bauerndörfer“, auch wenn es die schönen alten Bauernhäuser dort nicht unbedingt sind: Sie wurden entkernt und in bester Lage als Ferienhäuser im Feriendorf für den Qualitätstourismus neu aufgestellt.
Wirklich in die Zukunft visionierte einzig der Consulting-Berater Ludwig Morasch von Burns & Gimple mit Modulen (in der Elektrotechnik austauschbare Funktionseinheit elektronischer Geräte). Das Wesentliche an Morasch war, daß er seine Zukunftsvision schon selbst verkörperte. Allein sprachlich bewegte er sich voll souverän in den neuen Dimensionen synthetischer Wirklichkeit: Lifestyle-Gruppen sind out – für Morasch zählte die Gruppe 7 to 77. Sein Konzept ist in best case für alle zwischen 7 und 77 Jahren. Denn: „Basic business is turn around management.“
Moraschs Konzept eines Romain Village, lieferbar mit oder ohne Töpferei, setzt in Modulen produzierte historische Romantik gegen Clips und High-Tech. Daß diese romantischen Dörfer aus chemischen Säulen bestehen, tut der gelebten Nostalgie keinen Abbruch. Morasch brachte auch gleich Proben zum Anfassen mit. Im Freizeitkonzept des Ludwig Morasch kann sich dann jeder spontan selber verwirklichen beim Oliven pressen, Töpfern oder auf der funktionstüchtigen Galeere. Denn im Unterschied zu Disney- World, erklärte der Consulting- Berater Morasch, wo alles passiv ablaufe, sei sein Konzept interaktiv. Man steigt aktiv in die Kulisse ein. Und diese sei allemal wahrer als die Wirklichkeit, denn wir sitzen im „Erfahrungsgefängnis der Wirklichkeit, die unsere Visionen behindert“.
Morasch berät jedoch nicht nur über das Freizeitprodukt Romain Village, sondern gleich über den Lebensraum der Zukunft. In seinem nach Modulen ausgerichteten Stadtmodell steigt man aus dem Büro direkt in die Sauna und von der Jacht in die nächste Töpferei. Er bietet ein beliebig zusammenstellbares Set aus Erlebnisräumen, in dem alle Grenzen zwischen Produktion und Konsum spielerisch verschwinden. Sein beschwörender Appell an alle anwesenden Veranstalter: Diese Konzepte der Zukunft dürften nicht den Asiaten überlassen werden. Die säßen nämlich längst dran. Ludwig Morasch ist eigentlich nur Consulting- Berater, doch folgte man ihm, sitzt eben dort der Innovationspool der Zukunft.
Wo der Alltagsmensch früher sein Heil in der Kirche suchte, findet er es heute, glaubt man den FreizeitexpertInnen, fast nur noch auf den „Inseln der Glückseligkeit“ unserer Urlaubswelt. Das Morphium fürs Volk wird nun in mehr oder weniger ausgeklügelten Erlebnishäppchen beziehungsweise Modulen der Freizeitindustrie serviert. Auch hier darf man nur einem Gott dienen: dem Konsum. Mit welcher Ethik der unters Volk gebracht wird, wagen wir allerdings nicht zu hinterfragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen