: Horror im ganz normalen Leben
Diskriminierung hat viele Gesichter und äußert sich auch in den sozialen Rivalitäten innerhalb einer Volksgruppe. Eine gesetzliche Handhabe dagegen fehlt bislang ■ Von Mechthild Duppel-Takayama
„Was habe ich mit diesen Leuten zu tun?“ Aysin ist empört. „Von zu Hause kenne ich sie nur als Dienstboten. Die Frau, die neben mir hier in Mainz wohnt, könnte bei meinen Eltern höchstens als Putzfrau arbeiten.“
In Istanbul gehört Aysins Familie zur Oberschicht – in Deutschland ist die junge Frau nur noch „Türkin“. Wenn sie ihren Namen nennt, öffnet sich keine Tür mehr – im Gegenteil: „Sie sind Türkin?“ wird gefragt, und Aysin haßt diesen Tonfall, mit dem die abschlägige Antwort bereits vorweggenommen wird: „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber...“
Ein abrupter Fall in die Unterschicht, reduziert auf die Nationalität – die Studentin hat Probleme, mit ihrem aufgezwungenen neuen Status zurechtzukommen. Vor allem irritieren sie die Kommentare ihrer deutschen Freunde, die sich wundern, daß Aysin so wenig Kontakt zu ihren Landsleuten pflegt. Elitäres Bewußtsein? Arroganz? „Ich wüßte gar nicht, worüber ich mit denen reden sollte.“
Nachvollziehbar im Grunde, klar. Warum sollten Diskriminierte denn solidarisch sein? Warum sehen „wir Deutsche“ „die Ausländer“ immer als eine monolithische Masse? Warum sollten sie sich nicht untereinander diskriminieren?
Bereits nach den ersten Ausschreitungen gegen Ausländer im neuen Deutschland empfahl die japanische Regierung ihren Bürgern, bei Aufenthalten hierzulande keinesfalls Jeans zu tragen, sondern Anzug und Krawatte: Die Gefahr, mit Vietnamesen verwechselt zu werden, sei sonst zu groß. Und so erklären sich viele Japaner auch selbst jede feindselige Bemerkung, die sie zu hören bekommen: „Die haben mich sicher mit einem Vietnamesen verwechselt.“
Druck von außen erzeugt Konkurrenz innerhalb einer Gruppe und den Versuch, sich abzugrenzen. Und dieser Druck von außen, der Druck von Deutschen auf alle, die nicht deutsch sind (oder scheinen), ist immens und hat vielfältigste Formen: Diskriminierung durch Gesetze und Behörden, durch die Polizei, am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, durch Versicherungen, beim Besuch von Gaststätten, in der Sprache, in den Medien, durch Politikeräußerungen... – erstaunlich, was Deutsche ihren „ausländischen Mitbürgern“ antun können, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
Sicher: Schwerste gruppenbezogene Diskriminierungen und Gewalttätigkeiten (also Auswüchse, die Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß oder Landfriedensbruch genannt werden) sind strafbar, und auch offene personenbezogene Diskriminierung ist verboten, wenn ein Gericht sie als „Beleidigung“ ansieht.
Aber Richter und Betroffene empfinden in solchen Fällen erfahrungsgemäß oft recht unterschiedlich. Und abgesehen davon, daß es immer Sache der Opfer ist, eine Diskriminierung nachzuweisen (und Hausbesitzer, Wirte oder Türsteher selten die wahren Motive einer Zurückweisung nennen), bedeutet die lapidare Formulierung „Keine Ausländer“ noch lange keine Beleidigung im Sinne des deutschen Strafgesetzbuches.
Laut Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz darf niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Diskriminierungen aus ebendiesen Gründen sind so alltäglich geworden, daß selbst Betroffene sie als Tatsachen betrachten, mit denen man sich abfindet, um nicht noch mehr Schwierigkeiten zu bekommen. Nur noch wirklich krasse Fälle sind den Medien eine Erwähnung wert oder finden eine gewisse Öffentlichkeit wie im Dezember 1993 bei der Anhörung in Bonn über „Rassismus in Deutschland“. Auf dieser Veranstaltung – organisiert von fünf großen Interessenverbänden von AusländerInnen und Binationalen – schilderten ZeugInnen ihre Erfahrungen mit deutschen Behörden, Institutionen, Firmen und DurchschnittsbürgerInnen: eine Ansammlung von Ungeheuerlichkeiten aus dem ganz normalen Leben.
Da verlangt die deutsche Botschaft in Pakistan ein amtsärztliches Zeugnis über den Geisteszustand des in Deutschland lebenden pakistanischen Verlobten einer Deutschen, bevor die zur Heirat notwendigen Papiere beglaubigt werden. Oder: Dem gambischen Ehemann einer Deutschen wird seit mehr als fünf Jahren die Einreise in die Bundesrepublik verweigert. Oder: KFZ-Versicherungen weisen ihre SachbearbeiterInnen an, allen AntragstellerInnen bestimmter Nationalitäten die Deckungskarte – legal, aber schikanös und abschreckend – erst nach zweiwöchiger Frist zuzuschicken. Oder: Die Vermieterin einer Wohnung weist einen sudanesischen Bewerber ab, da er „zu negroid“ sei. Oder: Ein Kreditkartenunternehmen lehnt die Ausstellung einer Karte für einen solventen Deutschen türkischer Herkunft ab „aus Gründen, die wir nicht nennen können“.
Gemeinsam ist all diesen unterschiedlichen Fällen die Tatsache, daß sie im Falle einer Anzeige von deutschen Gerichten zurückgewiesen würden, weil kein Gesetzesverstoß vorliegt. Das Grundgesetz? Es stellt eine „objektive Werteordnung“ dar, und mit dem erwähnten Artikel 3 Absatz 3 wird nur der Staat verpflichtet, alle BürgerInnen (nicht die MitbürgerInnen, für die ist das Ausländergesetz zuständig!) gleich zu behandeln. Verhaltenspflichten oder Ansprüche der Bürgerinnen untereinander folgen daraus nicht.
Schon seit Jahrzehnten gibt es in Großbritannien, seit einiger Zeit auch in anderen europäischen Ländern wie etwa Frankreich oder den Niederlanden ein Antidiskriminierungsgesetz. Mit dieser Gesetzgebung kommen die Länder unter anderem den Verpflichtungen nach, die sie sich mit der Unterzeichnung der „UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ selbst auferlegt haben. Die Bundesrepublik hat dieses Übereinkommen auch unterzeichnet, es wurde 1969 ratifiziert. Gegen die Aufforderungen des zuständigen UN-Prüfungsausschusses, die Vorgaben des Vertrages konkret umzusetzen, führte die Bundesregierung bisher immer das Grundgesetz ins Feld, das Verbot der Volksverhetzung und der Aufstachelung zum Rassenhaß.
Daß damit die Hürden sehr hoch angesetzt sind, um „Alltagsdiskriminierungen“ zu begegnen, daß keine ergänzende gesetzliche Regelung zum Verbot der „Rassendiskriminierung“ existiert und es deshalb den RichterInnen überlassen bleibt, die Reichweite dieses Vertrages in Deutschland zu bestimmen – das wird von vielen Politikern bislang ignoriert.
Diskutiert wurde über ein deutsches Antidiskriminierungsgesetz bisher fast nur von den Betroffenenorganisationen selbst, von Ausländerbeauftragten oder Kirchenausschüssen. Die Medien und die Mehrzahl der PolitikerInnen halten sich immer noch zurück.
Sicher: Vorurteile können nicht verboten werden, und die Situation in Frankreich und Großbritannien ist trotz entsprechender Gesetze nicht unbedingt idyllisch. Aber ein Antidiskriminierungsgesetz hat Signalwirkung. Unser Staat könnte endlich das vielbeschworene „Zeichen“ setzen: Diskriminierung ist ein nicht zu tolerierendes Unrecht und muß gesellschaftlich geächtet werden.
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